Ob man groß rauskommt, entscheidet sich schon früh im Leben, spätestens aber in der Pubertät. Denn zu keinem anderen Zeitpunkt produziert unser Körper so viel Somatropin wie in der Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenensein. Und Somatropin, das Wachstumshormon, ist Hauptverantwortlicher für unsere Körpergröße. Der Grund, warum die einen für eine Karriere als Basketballer infrage kommen und die anderen sich besser als Jockey eignen.

Michael Rieser, Oberarzt an der Abteilung für Nuklearmedizin und Endokrinologie am Klinikum Klagenfurt, erklärt es so: „Somatropin regt die Bildung von Wachstumsfaktoren in der Leber an, welche wiederum in den Epiphysenfugen – das sind die Wachstumszonen in den Knochen – ansetzen und so das Knochenwachstum stimulieren.“ Dass Lukas ein paar Zentimeter größer als Jakob ist, Lena sie aber beide um Längen schlägt, liegt also unter anderem an der Menge von Somatropin, die im vorderen Teil der Hirnanhangdrüse gebildet wird. Und die ist bereits im Erbgut unserer Eltern festgelegt.

Große Eltern, großer Nachwuchs, könnte man nun meinen. Stimmt eigentlich auch. Aber: Weil sich auch Umwelteinflüsse auf die Ausschüttung des Hormons auswirken, etwa die Art der Ernährung oder körperliche Belastungen wie Stress, schauen die Kleinen jetzt manchmal auf die Großen herab. „Es sind diese Umwelteinflüsse, die vor allem hinter dem Phänomen der Entwicklungsbeschleunigung in unserer Gesellschaft stecken“, sagt Oberärztin Claudia Stiegler von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie am Klinikum Graz. „In Österreich und Deutschland sind die heutigen sieben- bis 14-jährigen Kinder um durchschnittlich 15 Zentimeter größer als noch vor etwa 100 Jahren.“

Im Vergleich zu früher bleibt ihnen harte körperliche Arbeit meist erspart, außerdem gibt es heute ausreichend und hochwertigere Nahrung. Das alles wirkt sich positiv aus. Für die Jungen geht es bis zum Ende der Pubertät also tendenziell hoch hinaus. Dann schließen sich die Epiphysenfugen, mit dem Wachstum ist es vorbei – mit der Somatropinproduktion hingegen noch lange nicht.

Doch kein Jungbrunnen

Auch unser Stoffwechsel wird von Somatropin geprägt. „Als anaboles Hormon fördert es die Bildung von Eiweiß und damit den Aufbau von Knochen, Muskulatur und Bindegewebe“, so Stiegler. „Das Hormon spielt auch eine Rolle in der Regulation des Blutzuckers und baut Fett ab.“ Leidet man als Erwachsener unter einem Mangel – etwa aufgrund eines Tumors, Operationen an oder Entzündungen der Hirnanhangdrüse –, macht sich das in der Abnahme von Muskeln und der Zunahme von Körperfett bemerkbar. Die Leistungsfähigkeit nimmt ebenfalls ab.

Es ist kein Zufall, dass diese Symptome denen eines fortschreitenden Alters gleichen. Die körpereigene Produktion von Somatropin lässt nämlich auch auf natürliche Weise nach, je länger wir leben.

Wer jetzt glaubt, dem Alter mithilfe einer Dosis Somatropin ein Schnippchen schlagen zu können, wäre nicht der Erste. Aber: „In kontrollierten Studien zeigte sich bei Gabe von Somatropin im Vergleich zu Placebo-Pillen bei älteren Menschen lediglich ein minimal günstiger Effekt auf die Fettverteilung“, so Rieser, während es zahlreiche negative Nebenwirkungen gab. Von Gelenkschmerzen bis hin zu erhöhtem Blutzucker und Blutdruck. Für immer jung hält Somatropin also nicht. Aber es hilft im besten Fall dabei, über sich selbst hinauszuwachsen.

Kinder mit einem Mangel

Bei Kindern, die mit einer Störung der Hormonproduktion geboren werden oder im Laufe ihrer Kindheit aufgrund von Erkrankungen unter einem Hormonmangel leiden, muss Somatropin jedenfalls von außen zugeführt werden – bis zum Ende des Längenwachstums. Würde man einen Mangel unbehandelt lassen, würde sich das in Wachstumsverzögerungen bemerkbar machen. Stiegler: „Weitere auffällige Merkmale wären Kleinwuchs mit puppenartig wirkendem Gesicht – rundlich, zu kurze Nase und zu kurzes Kinn – sowie vermehrte Fettansammlung am Bauch.“ Die Endokrinologin beruhigt aber: „Der Wachstumshormonmangel ist selten, auf 4000 bis 10.000 Geburten kommt statistisch ein Kind mit einer derartigen gesundheitlichen Beeinträchtigung.“

Und: Werden die Mutter-Kind-Pass-Untersuchungen regelmäßig wahrgenommen, können Abweichungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Das gilt übrigens auch für einen Hormonüberschuss, der bei Kindern zum Riesenwuchs führen kann. Die Proportionen bleiben dabei zwar erhalten, zu viel Somatropin ist aber trotzdem keine Kleinigkeit. Vor allem nicht nach der Pubertät.

Krankhaftes Wachstum durch Tumor

Die Akromegalie, so heißt die vermehrte Produktion von Wachstumshormonen bei Erwachsenen, wird meistens von hormonproduzierenden Tumoren in der Hypophyse ausgelöst und kann gefährlich werden. Rieser sagt: „Beim Erwachsenen ist das Längenwachstum der Knochen ja bereits abgeschlossen, aber an den Akren, den nicht verknöcherten Zonen, ist ein Knochenwachstum noch möglich. Es kommt daher zur Vergrößerung der Hände und Füße, der Kinnpartie und des Jochbogens. Häufiges erstes Symptom einer Akromegalie ist, dass den Patienten ihre Schuhe oder Ringe nicht mehr richtig passen.“ Die inneren Organe wie Leber, Schilddrüse und Herz wachsen ebenfalls, in einigen Fällen entwickeln sich Diabetes und Bluthochdruck. Die Lebenserwartung der Betroffenen sinkt deutlich.

Therapiemöglichkeiten sind die operative Entfernung des Tumors, gefolgt von einer Bestrahlung bei Bestehenbleiben von Restgewebe. Auch Medikamente, die die Bildung von Somatropin hemmen, können helfen, die Einschränkung der Lebenserwartung zu vermindern. Denn es mag zwar so sein, dass wahre Größe von innen kommt – die zeigt sich aber nicht im auffälligen Hormonspiegel, sondern in kleinen selbstlosen Gesten.