Warum scheint es plötzlich möglich, die Pandemie HIV zu stoppen?

Der Meilenstein war eine Studie im Frühjahr 2019, die eindeutig zeigte: HIV-Infizierte, die eine Therapie bekommen und diese richtig einnehmen, können niemanden mehr anstecken – auch nicht, wenn sie ungeschützten Geschlechtsverkehr haben. Die Schlussfolgerung daraus: Wenn jeder HIV-Infizierte weltweit die Therapie bekommen würde, gäbe es keine weitere Übertragung des Virus und die Pandemie könnte gestoppt werden.

Mit der sogenannten PrEP (Präexpositionsprophylaxe) gibt es außerdem eine Pille, die vor der Ansteckung mit HIV schützen kann, auch wenn ungeschützter Sex stattfindet. „Wir haben alle Instrumente, um die Übertragung von HIV zu verhindern“, sagt Jürgen Rockstroh, Präsident der europäischen AIDS-Gesellschaft. Das unterstreicht auch Bernhard Haas, Generalsekretär der österreichischen AIDS-Gesellschaft (ÖAG): „Nun müssen diese Instrumente auch vernünftig eingesetzt werden.“

Welche Problemfelder gibt es dennoch?

Da ist zunächst die Verfügbarkeit der PrEP: Laut Haas müssen jene Menschen, die Hochrisikogruppen angehören, Zugang zu PreP bekommen – und zwar mittels eines Versorgungsschemas. „Nur die Tablette wie mit der Gießkanne zu verteilen, ist zu wenig“, sagt Haas – es brauche Aufklärung und regelmäßige Untersuchungen, um diese Risikogruppen gut betreuen zu können. Und auch die Frage, wer bezahlt für diese Maßnahmen, ist noch ungeklärt – bisher tragen die Betroffenen die Kosten für die Pillen selbst.

„Wenn es darum geht, Neuansteckungen mit HIV zu verhindern und die Zahl HIV-infizierter Personen in der Bevölkerung zu senken, ist die PrEP genauso effektiv wie Kondome“, sagt Alexander Zoufaly, Präsident der ÖAG. Ein zweites Problem: „Noch immer werden viele HIV-Infektionen zu spät erkannt“, sagt Haas. Um die Epidemie vollständig einzudämmen, ist eine frühe Diagnose aber entscheidend. Schließlich ist das Ansteckungsrisiko für andere unmittelbar nach der Infektion am höchsten.



Warum werden viele Fälle erst spät erkannt?

Europaweit ist fast jede zweite HIV-Diagnose eine Spätdiagnose und wird also erst drei bis fünf Jahre nach der Ansteckung diagnostiziert. In Österreich fielen seit dem Jahr 2001 vier von zehn Diagnosen in diese Kategorie. In dieser Zeit sind die Betroffenen nicht nur unwissentlich Überträger, sondern es kommt auch zu körperlichen Schäden durch die Infektion. Bei jungen Erwachsenen und Männern, die mit anderen Männern Sex haben, ist die Rate an Spätdiagnosen mit 33 Prozent relativ niedrig. Hier dürfte es laut Haas gelungen sein, die Testbereitschaft und das Bewusstsein für das eigene HIV-Infektionsrisiko zu erhöhen.

„Besonders häufig sind Spätdiagnosen bei Personen über 50 Jahren sowie bei heterosexuellen Frauen und Männern außerhalb des städtischen Raumes“, sagt Haas. Betroffene selbst, aber auch ihre behandelnden Ärzte denken in diesen Fällen gar nicht daran, dass sie mit HIV infiziert sein könnten. Warnsymptome: Zwei bis vier Wochen nach einer Ansteckung mit HIV komme es zu Fieber, Hautausschlägen, Aphthen, Halsentzündungen und Lymphknotenschwellungen.


Ist trotz HIV ein normales Leben möglich?

„Früher bedeutete eine Ansteckung unweigerlich den Tod. Heute ist es eine chronische Erkrankung, die gut behandelbar ist“, sagt Zoufaly. Moderne antiretrovirale Therapien reduzieren die Viruslast bis unter die Nachweisgrenze. Damit wird der Ausbruch von Aids verhindert und die Übertragung von HIV auf sexuellem Weg ausgeschlossen. Menschen mit HIV, die eine Therapie bekommen, haben die gleiche Lebenserwartung wie Menschen ohne HIV.

Wann ist das Ansteckungsrisiko besonders groß?

54 bis 59 Prozent der HIV-Infektionen in Österreich passieren bei sexuellen Handlungen zwischen Männern. Weitere sechs Prozent resultieren aus intravenösem Drogenkonsum. 27 bis 30 Prozent infizieren sich bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr. „Nach jedem ungeschützten Geschlechtsverkehr besteht das Risiko, sich angesteckt zu haben“, sagt Haas. Er plädiert dafür, dass das Stigma rund um HIV endlich gebrochen werden müsse – ein HIV-Test und das Sprechen über HIV sollte ohne Vorverurteilungen und ohne Diskriminierung möglich sein.