Smombies: Menschen, die während des Gehens auf ihrem Smartphone tippen und sich dadurch in große Unfallgefahr begeben. Eine Studie hat nun gezeigt: Je mehr man in eine App oder einen Nachrichtenverlauf vertieft ist, desto fehleranfälliger ist man. Herr Hufnagl, können Sie als Hirnforscher erklären, warum uns dieses Multitasking so überfordert?

Bernd Hufnagl: Wir wären ausgestorben, wenn wir nicht zwei Dinge gleichzeitig tun könnten. Aber: Wir müssen zwischen bewusstem und unbewusstem Multitasking unterscheiden. Bewusstes Multitasking, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, die unsere volle Aufmerksamkeit brauchen, ist nicht möglich. Unbewusstes Multitasking wiederum ist nur deshalb möglich, weil die Routine übernimmt: Gehen ist eine Routine, daher können wir gleichzeitig auf dem Handy tippen. Nun sind wir aber Erben eines völlig unterdimensionierten Arbeitsspeichers: Uns steht nur ein 40-Bit-Prozessor zur Verfügung und der ist durch die Kommunikation auf dem Handy fast zu 100 Prozent aufgebraucht - übrig bleibt nur die Routine.

Und daher kommt die erhöhte Unfallgefahr?

Hufnagl: Genau, man ist viel anfälliger für Fehler. Das wurde zum Beispiel in einer Studie aus Amsterdam gezeigt: Eine Gruppe der Teilnehmer wurde künstlich bekifft gemacht, die Bekifften mussten dann eine E-Mail verfassen. Eine zweite Gruppe war völlig nüchtern, musste ebenfalls ein E-Mail verfassen, wurde dabei aber ständig unterbrochen: Fenster poppten am Bildschirm auf, Telefone läuteten, Menschen stürmten in den Raum - eine klassische Bürosituation. Das Ergebnis: Die bekiffte Gruppe hat viel weniger Fehler gemacht als jene, die ständig unterbrochen wurde.

Und oft ist die Unterbrechung selbst verschuldet: Studien haben gezeigt, dass der Mensch 84 Mal pro Tag auf sein Handy schaut, alle 13 Minuten. Warum fesselt das Handy unsere Aufmerksamkeit so sehr?

Hufnagl: Dafür gibt es bereits einen Begriff: The Fear of Missing Out, kurz: Fomo - die Angst, etwas zu versäumen. Hat man sein Handy zu Hause vergessen, stellt sich in der Sekunde Panik ein. Das zeigt: Unser Gehirn hat das Smartphone als Werkzeug abgespeichert, es ist unsere Verbindung zur Welt. Die Angst, etwas zu versäumen, gibt es, weil wir ständig mit Informationen konfrontiert werden, in Nachrichten, E-Mails, über soziale Netzwerke. Das Problem daran ist die Permanenz: Wir haben uns so sehr an die permanente Informationsflut gewöhnt, dass es zu einer Entzugssituation kommt, wenn diese Flut wegfällt. Es sind dieselben Hirnareale aktiv wie bei einem Süchtigen, dem man die Spritze wegnimmt. Wir sind angefixt.

Aber wie kommt es zu dieser starken Reaktion?

Hufnagl: Aus Sicht der Hirnforschung stecken zwei Motive dahinter: einerseits die Angst, andererseits die Neugier. Angst, das Mail vom Chef zu übersehen, Angst, ausgeschlossen zu werden - dieses Motiv steht im Vordergrund, dabei ist die Amygdala im Gehirn aktiv. Die Neugierde ist das zweite Motiv: Wir wollen tatsächlich all das Neue wissen, das passiert: das neueste Posting, die neuesten Nachrichten. Das Toxische daran ist die Permanenz: Die digitale Permanenz ist neu für uns, dafür ist unser Gehirn nicht ausgerichtet.

Bernd Hufnagl
Bernd Hufnagl © Hufnagl/Jeff Mangione

Das heißt, auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift?

Hufnagl: Wir können es mit Zucker vergleichen: Wenn Sie immer Zucker essen, wird es Ihnen ungezuckert nicht mehr schmecken. Ich will nicht als Ewiggestriger dastehen, man muss nicht auf digitale Kommunikation verzichten. Aber gefährlich ist eben die Permanenz - wir brauchen Pausen.

Wie schaffen wir solche Pausen?

Hufnagl: Wir müssen für uns selbst Spielregeln festlegen. Es braucht ein Ritual, um dem Gehirn klarzumachen: Ich bin jetzt nicht verfügbar. Ich muss das Handy in den Flugmodus stellen, es bewusst verstecken, einfache Regeln etablieren.

Aber die Optik des Smartphones und seiner Apps tut vieles dafür, unsere Aufmerksamkeit zu fesseln.

Hufnagl: Genauso ist es: Rot als Signalfarbe, wenn eine neue Nachricht eingelangt ist - Rot ist eine Warnfarbe und bedeutet für uns größten Alarm. Kaum irgendwo anders wurde Wissen aus der Hirnforschung so intensiv genutzt wie im Marketing und der Kontrolle der Aufmerksamkeit von Anwendern. Das Silicon Valley hat damit ein großes Geschäft gemacht, erkennt mittlerweile aber auch, dass diese Firmen mitverantwortlich für flächendeckende Aufmerksamkeitsstörungen sind.

Handys führen zum Krankheitsbild der Aufmerksamkeitsdefizitstörung?

Hufnagl: ADHS nimmt nicht nur bei Kindern, sondern in ähnlicher Variante auch bei Erwachsenen zu - es wird einen anderen Namen dafür brauchen, aber es handelt sich um Aufmerksamkeitsdefizite. Die Unfähigkeit, genau zuzuhören, ein Buch fertigzulesen - die Ursache ist, dass wir zu viele Optionen haben. Unzählige Bücher, Videos, Postings, es geht sich nicht aus, alles zu konsumieren. Im verzweifelten Versuch, das trotzdem zu schaffen, erlauben wir es uns nicht mehr, etwas zu Ende zu lesen, um ja nichts anderes zu verpassen. In Wahrheit beschäftigen wir uns dadurch aber mit nichts mehr richtig. Davor ist zu warnen.