1. Warum wird wegen Iberogast ermittelt?

Wie das Handelsblatt berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln im Umfeld des Pharma-Konzerns Bayer im Zusammenhang mit dessen Magenmittel Iberogast. Der Verdacht laute auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung: Hintergrund soll die jahrelange Weigerung des Unternehmens sein, Warnhinweise vor möglichen Leberschäden in die Packungsbeilage des rezeptfreien Medikaments aufzunehmen. Erst als Mitte 2018 bekannt wurde, dass eine Frau in Deutschland an Leberversagen starb und das mit Iberogast in Verbindung gebracht wurde, setzte Bayer die Forderung des Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte um. Seither findet sich der Hinweis auf die mögliche Leberschädlichkeit in der Packungsbeilage.

Auszug:

„Bei der Anwendung von Schöllkraut-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte, des Bilirubins bis hin zu arzneimittelbedingter Gelbsucht (medikamentös-toxischer Hepatitis) sowie Fälle von Leberversagen) aufgetreten.“

Die Stellungnahme von Bayer: „Aus der Presse erfuhr Bayer, dass in Bezug auf einen Todesfall in 2018 ermittelt wird (…) Das Ermittlungsverfahren richtet sich „gegen Unbekannt“. Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens sind Bayer nicht bekannt.“

2. Warum ist Iberogast schädlich für die Leber?

Iberogast enthält eine Vielzahl pflanzlicher Arzneimittel: Neben Kamillenblüten, Mariendistel oder Pfefferminzblättern, zählt auch das Schöllkraut dazu. „Vermutlich ist das Schöllkraut bzw. die darin enthaltenen Alkaloide verantwortlich für die leberschädigende Wirkung“, sagt Rudolf Stauber, Leberexperte an der Med Uni Graz. Den Behörden liegen mittlerweile angeblich 115 Meldungen über unerwünschte Nebenwirkungen vor, die sich auf Beeinträchtigungen der Leber beziehen. Diese sollen von dem in Iberogast enthaltenen Schöllkraut herrühren.

3. Welche schweren Nebenwirkungen sind aufgetreten?

Die zwei schwerwiegendsten Fälle wurden im angesehenen Fachmagazin „American Journal of Gastroenterology“ publiziert. Im Jahr 2016 gab es einen Fall in Barcelona, wobei es zu einer Notfall-Lebertransplantation kam. „Hier bestand eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Notfall mit Iberogast in Verbindung stand“, sagt Stauber.

Der zweite Fall ereignete sich in Deutschland und betraf eine Frau in Leipzig: Auch hier kam es zum Leberversagen, die Betroffene bekam eine Leber transplantiert, verstarb jedoch wenige Tage später. „In diesem Fall ist der Zusammenhang mit Iberogast sogar bewiesen“, sagt Stauber. Der Pharma-Konzern Bayer selbst habe den Fall „intensiv und umfassend analysiert“. Dabei zeigte sich, dass dies höchstwahrscheinlich eine idiosynkratische Reaktion war - eine äußerst seltene, dosisunabhängige Reaktion auf Substanzen, die in der Regel von Menschen sicher toleriert werden. Auch Mediziner Stauber erklärt: „Jedes Arzneimittel kann Reaktionen der Leber hervorrufen“. Hinter den schwerwiegenden Nebenwirkungen stecke meist eine sogenannte idiosynkratische Reaktion: Dabei komme es quasi zu einer allergischen Reaktion der Leber auf einen Wirkstoff.

4. Wofür wird Iberogast eigentlich angewendet?

Iberogast ist ein rezeptfreies Arzneimittel für Magen-Darm-Beschwerden: Beworben wird das Produkt mit einer „einzigartigen Kombination“ von neun Heilpflanzen, die bei Beschwerden wie Übelkeit, Sodbrennen, Völlegefühl oder Blähungen helfen sollen. „Iberogast ist ein beliebtes Arzneimittel, auch weil es pflanzlich ist“, bestätigt die Apothekerin Ilona Leitner.

5. Wie kann ein pflanzliches Heilmittel so schwerwiegende Nebenwirkungen haben?

„Es ist leider ein fataler Aberglaube, dass pflanzliche Arzneimittel immer gleichzusetzen sind mit sanfter Wirkung und unschädlich sind“, sagt Apothekerin Leitner – man denke nur an die Tollkirsche und deren potenziell tödliche Wirkung. Und auch Mediziner Stauber kennt diesen gefährlichen Irrglauben: „Auch pflanzliche Heilmittel sind Arzneimittel, haben eine Wirkung und können daher auch Nebenwirkungen verursachen.“ So habe Stauber schon schwere Leberschäden durch Nahrungsergänzungsmittel gesehen, die – im Gegensatz zum Arzneimittel Iberogast – viel weniger streng untersucht werden, bevor sie auf den den Markt kommen. So habe es an der Grazer Klinik ebenfalls eine Notfall-Lebertransplantation gegeben, ausgelöst durch Noni-Saft. Auch durch Aloe-Vera-Saft hat der Mediziner schon mittelschwere Leberschäden beobachtet.

6. Was bedeutet das nun für die Anwendung von Iberogast: Muss ich Angst haben?

Leberexperte Stauber sagt: „Panik ist nicht angebracht!“ Das Arzneimittel sei millionenfach eingesetzt worden, die Wirksamkeit und Sicherheit wurde in Studien untersucht. In einer Stellungnahme von Bayer Austria heißt es: „Die Sicherheit und Wirksamkeit von Iberogast wurden in kontrollierten klinischen Prüfungen und Studien mit mehr als 50.000 Teilnehmern geprüft und bei der Behandlung von mehr als 84 Millionen Patienten seit der Markteinführung bestätigt.“

Stauber rät, den Beipackzettel zu lesen und das Medikament nur im Bedarfsfall einzusetzen. Treten Symptome wie Gelbsucht, ein dunkel gefärbter Harn oder heller Stuhl auf, sollte man sofort den Arzt aufsuchen. Problematisch ist die Einnahme laut Apothekerin Leitner bei Schwangeren und Stillenden, bei Menschen, die bereits eine Leberschädigung haben oder überempfindlich gegen einen der Bestandteile sind. Außerdem unterstreicht Leitner: „Wenn nach einer Woche keine Besserung der Beschwerden eintritt, sollte man zum Arzt gehen, anstatt ein Arzneimittel gewohnheitsmäßig anzuwenden.“