1 Warum gilt die Migräne als „vergessene Epidemie“?

„Migräne ist häufiger als Asthma, Epilepsie und Diabetes zusammen“, sagt Marion Vigl, Neurologin und Schmerztherapeutin. Jeder zehnte Mensch ist von Migräne betroffen – und trotzdem ist die Krankheit unterdiagnostiziert. „Nur ein Drittel der Betroffenen kennt seine Diagnose.“

2 Warum ist die Krankheit unterdiagnostiziert?

Das liege daran, dass Migräne in der Gesellschaft noch immer nicht ernst genommen werde: „Das bissl Kopfschmerzen“, bekommen Betroffene zu hören, „das hat doch jeder einmal.“ „Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung, die das Leben der Patienten extrem einschränkt“, hält Vigl dagegen. Dennoch scheuen viele Betroffene wegen der Vorurteile den Gang zum Arzt. Und: „Es gibt viel zu wenig spezialisierte Anlaufstellen“, sagt Sonja Tesar, Vizepräsidentin der Kopfschmerzgesellschaft und Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Klinikum Klagenfurt.

3 Wie sieht ein Migräne-Anfall aus?

„Migräne ist viel mehr als ,nur‘ Kopfschmerz“, sagt Vigl. Schon in den 48 Stunden vor einer Migräne-Attacke spüren Betroffene Veränderungen: Sie sind gereizt, müde und unkonzentriert, haben Heißhunger. Es kann auch eine Aura auftreten: Dabei kommt es zu Seh- und Sprachstörungen, die sich langsam ausbreiten und sich innerhalb einer Stunde wieder zurückbilden. In der eigentlichen Kopfschmerzphase tritt ein einseitiger, pulsierender Schmerz mit Übelkeit und der Scheu vor Licht und Lärm auf. „Eine Attacke kann bis zu 72 Stunden dauern“, sagt Vigl.

4 Wie geht es den Betroffenen?

Eine aktuelle Umfrage zeigt, wie sehr Migräne die Lebensqualität einschränkt. Befragt wurden Menschen mit mehr als vier Migränetagen pro Monat. So verbringen sie im Durchschnitt 16 Stunden pro Monat in dunklen Räumen, um sich vor Lärm und Licht zu schützen. Betroffene ziehen sich sozial zurück, trauen sich nicht, Treffen auszumachen, haben Angst, Termine nicht wahrnehmen zu können, und haben Schuldgefühle gegenüber Arbeitskollegen.

5 Warum ist die „Eigentherapie“ mit Schmerzmitteln gefährlich?

Es gibt Kopfschmerzen, die „medikamentengemacht“ sind: „Kopfschmerzen, ausgelöst durch einen Übergebrauch von Schmerzmitteln, sind ein riesiges Thema“, sagt Tesar. Die typische Patientenklientel sind Menschen, die ihre Kopfschmerzen seit Jahrzehnten selbst behandeln, viele Schmerzmittel schlucken und dadurch abhängig geworden sind. „Oft brauchen solche Patienten sogar einen Entzug“, sagt Tesar.

6 Was kann die Spritze gegen Migräne?

Bisher wurden Patienten mit chronischer Migräne (mehr als 15 Tage mit Attacken pro Monat) mit Medikamenten behandelt, die für andere Erkrankungen entwickelt wurden: Epilepsie-Mittel, Anti-Depressiva oder Blutdruckmedikamente. „Diese Medikamente wurden von Patienten nicht gut angenommen, da es Nebenwirkungen gab und die Wirkung oft nicht gut war“, sagt Tesar. Nun aber gebe es mit der Migräne-Spritze endlich eine spezifische Therapie für chronische Migräne. „Das ist ein Meilenstein“, sagt Tesar. Der Antikörper greift gezielt in die Entstehung der Migräne ein, Patienten müssen sich dafür einmal pro Monat die Spritze verabreichen. „Die Wirkung ist sehr überzeugend, wir können damit jene Patienten behandeln, denen andere Medikamente zur Prophylaxe nicht helfen“, sagt Tesar.

7 Sind Medikamente die einzige Therapie-Möglichkeit?

„Nur Medikamente zu verabreichen, ist in der Migräne-Therapie jedenfalls zu wenig“, sagt Tesar. Die Selbstverantwortung des Patienten sei entscheidend, denn auch mit der Spritze sei Migräne nicht heilbar. „Betroffene müssen lernen, ihre Erkrankung zu managen: ein regelmäßiger Schlaf-wach-Rhythmus, regelmäßige Essenszeiten, Ausdauersport – all das bringt so viel“, sagt Tesar.