Er tat, was 17-Jährige eben tun: Er ging abends fort, besuchte eine Disco - doch dieser Abend sollte sein Leben für Jahre verändern. Nach diesem Discobesuch hatte Christian Bacher* ein Ohrgeräusch. „Da war ein ganz lautes Surren“, erinnert er sich heute, zehn Jahre später. „Zuerst habe ich gar nichts gehört.“ Nach einigen Tagen wurde es besser, der Ton in seinem Ohr jedoch, der blieb.

Bacher suchte nach einer Therapie, probierte so ziemlich alles aus, was es gab. „Am schlimmsten war es natürlich in der Stille“, sagt Bacher. „Beim Einschlafen und in der Früh beim Aufwachen war das Geräusch am lautesten.“ Er durchlebte schwierige Jahre, war auch in der Psychiatrie: „Da war dieses Problem, das ich nicht lösen konnte, das Geräusch, das mich anrennen ließ. Zu der Zeit konnte ich gar nicht über das Thema Tinnitus sprechen, es hat mich zu sehr belastet“, erzählt er.

Selbsthilfe hilft

Für Menschen wie Bacher ist die Österreichische Tinnitus-Liga die Anlaufstelle: Vor 20 Jahren gründete der Grazer Manfred Koller diese erste Selbsthilfegruppe für Tinnitus-Patienten in Österreich. Heute hat der Verein 700 Mitglieder, etwa 15.000 Betroffene habe die Tinnitus-Liga in den vergangenen Jahren beraten, sagt Koller, der selbst Tinnitus-Betroffener ist. Bei Koller begann es mit einer Operation am Ohr - die Ursachen für ein Ohrgeräusch können aber ganz unterschiedlich sein.

„Die wichtigste Ursache sind Hörstörungen, die oft mit dem Alter einhergehen“, sagt Matthias Graupp, HNO-Spezialist an der Med Uni Graz. Das lässt sich so erklären: Hört man schlecht, bekommt der Hörnerv oder das Hörzentrum im Gehirn zu wenig Reize aus der Umwelt. Als „Ersatzleistung“ entsteht dann ein Geräusch, das aber nur für den Betroffenen zu hören ist. „Daher muss bei einem Ohrgeräusch immer das Hörvermögen getestet werden“, sagt Graupp.

Auch Fehlstellungen im Kiefer oder muskuläre Verspannungen können die Ursache sein - das zeigt sich meist daran, dass sich das Geräusch verändert, wenn man Kopf oder Kiefer bewegt. Doch tatsächlich ist es so: „Zu hundert Prozent können wir noch nicht erklären, wie es überhaupt zum Tinnitus kommt“, sagt Graupp.

Keine Panik

Bemerkt man ein Ohrgeräusch, rät Graupp zunächst, nicht in Panik zu verfallen: „Man sollte sich entspannen, eine Nacht schlafen und, ist das Geräusch am nächsten Tag noch da, einen HNO-Arzt aufsuchen.“ Bei 30 bis 70 Prozent der Betroffenen verschwinde das Geräusch von selbst wieder. Passiert das nicht, wird zunächst mit Cortison behandelt, um eine mögliche Schwellung abklingen zu lassen. Dann beginne die körperliche Ursachensuche, die zum Beispiel zu einem Hörgerät (bei Schwerhörigkeit) führen könne.

Nur bei einem Teil der Betroffenen wird der Tinnitus chronisch - „und auch nur für einen kleinen Teil ist das Ohrgeräusch eine starke psychische Belastung“, sagt Roland Moschen. Als klinischer Psychologe arbeitet er mit Tinnituspatienten und kennt die Faktoren, die dazu führen, dass das Geräusch zum bestimmenden Lebensthema wird. „Gehen mit dem Ohrgeräusch große Ängste einher, lesen die Betroffenen Horrorgeschichten im Internet oder bekommen keine gute Beratung, trägt das dazu bei, dass sie sich immer stärker auf das Geräusch fokussieren, es wird zur Dauerbelastung“, sagt Moschen. Das Ziel beim chronischen Tinnitus sei aber: das Leben trotz des Ohrgeräusches gut zu meistern.

Kostspielige Therapien

„Damit leben lernen“ - diese Empfehlung klinge für manche Patienten nach Aufgeben, für andere gar nach Verhöhnung - „psychologisch betrachtet beschreibt es aber einen Entwicklungsprozess, in dem man zur Akzeptanz gelangt und das Geräusch in den Hintergrund tritt“, sagt Moschen. Zu diesem Prozess gehöre auch, die Suche nach immer neuen, teuren, aber wissenschaftlich nicht belegten Therapien zu beenden, die viele Patienten aufreibt.

Auch Betroffener Bacher hat diese kostspielige Suche hinter sich, heute beschreibt er sich als „geheilt“ - will aber andere vor den fatalen Auswirkungen von Lärm auf die Ohren warnen. „Es ist so schlimm, dass bei jedem lauten Konzert Menschen rausgehen, die danach ein Ohrgeräusch haben“, sagt Bacher. Daher appelliert er, vor allem an junge Menschen: „Schützt eure Ohren und benutzt Ohrstöpsel, wenn es euch zu laut erscheint.“

*Name von der Redaktion geändert.