1. 41.000 Masernfälle in Europa, immerhin 62 in Österreich. Warum steigen die Fallzahlen so extrem an?

In Europa wurden die meisten Fälle in der Ukraine gemeldet: Dort überlagern Konflikte die Impfroutinen und Kontrollen. Aber auch in Frankreich, Georgien, Griechenland oder Serbien gab es Ausbrüche mit mehr als 1000 Ansteckungen – in Österreich wurden heuer immerhin schon 62 Fälle gemeldet. Die Gründe für den Anstieg sind laut dem Infektionsspezialisten Werner Zenz (LKH-Uniklinik Graz) einerseits die wachsende Impfskepsis, andererseits, dass die Masern die wohl ansteckendste Krankheit der Welt sind. „Ein Patient kann 18 weitere Menschen anstecken“, sagt Zenz. Durch bestehende Impflücken komme es dadurch immer wieder zu Ausbrüchen.

2. Wo gibt es diese Impflücken vor allem?

95 Prozent der Bevölkerung müssten gegen die Masern geimpft sein, dann könnte die Krankheit ausgerottet werden. Doch diese Quote erreicht auch Österreich nicht, in der Steiermark haben zum Beispiel nur 79 Prozent der 3- bis 15-Jährigen alle beiden notwendigen Teilimpfungen erhalten. Impflücken gibt es bei den Jahrgängen 2008 bis 2010, bei Erwachsenen, die in den 1990er-Jahren geboren wurden und: ein Drittel der 15- bis 30-Jährigen wurde kein zweites Mal geimpft und hat damit nicht den vollständigen Schutz.

3. Warum gibt es Skepsis gegenüber der Impfung?

„Das größte Problem der Impfung ist ihre gute Wirksamkeit“, sagt Zenz. Masernerkrankungen und ihre teilweise tödlichen Folgen sind durch die Impfungen aus unserer Wahrnehmung verschwunden – was bleibt, ist die Angst vor möglichen Impfschäden. „Das Risiko für einen Impfschaden liegt bei 1 zu einer Million“, sagt Zenz. „Aber eines von 1000 Kindern stirbt an den Masern.“ Eine weitere Triebfeder sind die sozialen Medien: In den USA gibt es Gruppen von Impfgegnern, die gefälschte Studien in Umlauf bringen, um ihren Falschinformationen Wissenschaftlichkeit zu verleihen. „Es kursieren auch weiterhin Mythen, die wissenschaftlich längst widerlegt wurden“, sagt Kinder- und Jugendfacharzt Hans Jürgen Dornbusch. Zwei bis vier Prozent der Bevölkerung seien echte Impfgegner – durch ihre Falschinformationen werde aber eine viel größere Gruppe verunsichert.

4. Warum gefährden Impfgegner nicht nur ihre eigenen Kinder?

Das Schlagwort lautet: Herdenschutz. Um die jüngsten und empfindlichsten Mitglieder der Gesellschaft – Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können – zu schützen, braucht es den Schutz der geimpften Gemeinschaft. Was passiert, wenn dieser Herdenschutz nicht gegeben ist, hat eine Untersuchung des Masernausbruchs 2015 in der Steiermark gezeigt. 82 Prozent der betroffenen Kinder waren aufgrund ihrer impfkritischen Eltern nicht geimpft. Die Leidtragenden waren zehn Säuglinge aus Familien, die nicht gegen Impfungen, aber noch zu jung für die Impfung waren und daher angesteckt wurden. Auch Menschen mit einem geschwächten Immunsystem – Kinder, die an Leukämie leiden, Erwachsene mit Autoimmunerkrankungen – sind auf den Herdenschutz angewiesen, da sie selbst nicht geimpft werden können.

5. Es heißt, Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Was kann passieren?

„Eines von 1000 betroffenen Kindern überlebt die Masern nicht“, sagt Zenz. Patienten, die eine Gehirnentzündung entwickeln, bleiben zu 30 Prozent behindert. Die Masern haben auch eine gefürchtete Langzeitfolge: Sechs bis acht Jahre nach der Erkrankung kommt es zu einer Gehirnentzündung, die immer tödlich endet. Sie betrifft einen von 600 Masernpatienten. Außerdem schwächt eine Maserninfektion das Immunsystem für mindestens zwei Jahre.

6. Braucht es eine Impfpflicht?

In den USA hat die Impfpflicht dazu geführt, dass die Masern ausgerottet wurden – für Österreich sei die allgemeine Impfpflicht aber laut Dornbusch wohl nicht der richtige Weg: „Viel wichtiger ist eine intensivere Aufklärung.“ Einerseits müsse man durch Kampagnen die Bevölkerung erreichen, andererseits seien aber auch Ärzte in der Pflicht. „Jeder Besuch beim Arzt sollte dazu genutzt werden, nach dem Impfpass und möglichen Impflücken zu fragen“, sagt Dornbusch. „Doch leider muss meist erst etwas passieren, damit die Impfmoral wieder besser wird.“