Frau und Mann ticken auch in ihrer Krankheitsbiologie anders. Das ist das Thema der Gendermedizin: der Unterschied zwischen Mann und Frau in Bezug auf Krankheiten und Therapien.

Erst seit Mitte der 1980er-Jahre wird dieses Thema überhaupt erforscht und dabei zeigte sich, dass die Unterschiede eklatant sein können. Das inzwischen sehr bekannte Beispiel ist der Herzinfarkt: Die vermeintlichen typischen Symptome wie Engegefühl und starker Brustschmerz treten bei Frauen viel seltener auf, sie haben eher unspezifische Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit oder Müdigkeit. Die Folge daraus: Herzinfarkte werden bei Frauen später erkannt, wodurch wertvolle Zeit verloren geht.

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: „Tatsächlich ist der Geschlechtsunterschied für alle Bereiche der Medizin relevant, von der Wiege bis zur Bahre“, sagt Gendermedizinerin Kautzky-Willer (MedUni Wien). Schon in der Schwangerschaft mache es einen Unterschied, ob eine Frau mit einem Buben oder einem Mädchen schwanger sei. Dass Männer früher und häufiger an Diabetes erkranken und bei ihnen der Herzinfarkt häufiger ist, hänge stark mit den Sexualhormonen zusammen. Östrogen habe eine schützende Wirkung für die Frau - auch wenn diese gerade dabei sind, ihren biologischen Vorteil in Bezug auf die Lebenserwartung zu verspielen.

Lebenserwartung gleicht sich an

„Die Doppelbelastung Job und Familie sowie gesundheitsschädliches Verhalten wie Rauchen führen dazu, dass sich Frauen den Männern bei der Lebenserwartung immer mehr angleichen“, sagt Kautzky-Willer.
Während Frauen vor manchen Erkrankungen geschützt sind, treffen sie andere öfter: „Frauen leiden öfter an Depressionen“, sagt Éva Rásky, Sozialmedizinerin an der Med Uni Graz. Die Ursachen dafür seien aber noch unklar: Gibt es einen biologischen Unterschied? Oder erkranken Frauen eher, weil sie größeren Anforderungen ausgesetzt sind? Neben dem Geschlecht spielen nämlich auch soziale Faktoren eine große Rolle: Es sind zum Beispiel vor allem Frauen, die Pflegeaufgaben in der Familie übernehmen.

„Der Mann wurde lange als Norm definiert“, sagt Rásky. Das galt auch für Medikamententests, was dazu führte, dass Frauen 70 Prozent mehr Nebenwirkungen haben. „In Zukunft sollte am Beipackzettel stehen, wie ein Medikament bei Frauen und Männern anzuwenden ist“, sagt Kautzky-Willer. Auch bei Labor- oder Vorsorgeuntersuchungen müsste der große kleine Unterschied berücksichtigt werden: Der Nüchternzucker ist bei Frauen zum Beispiel nicht so aussagekräftig, um Diabetes zu erkennen. „Jetzt müssen unsere Erkenntnisse auch in die Praxis einfließen“, sagt Kautzky-Willer.