Fürsorgliche Eltern werden schnell und gern in die Schublade „Helikoptereltern“ gesteckt, die ihre Kinder zu lebensuntüchtigen, selbstsüchtigen Menschen erziehen. Ihr neues Buch „Ich glaub, ich bin jetzt warm genug angezogen“ räumt mit dem allgemeinen „Eltern-Bashing“, wie Sie es nennen, auf. Es ist ein Plädoyer, nicht auf Erziehungsratgeber zu hören, sondern aufs eigene Bauchgefühl. Bevor Sie dieses Buch geschrieben haben, hatten Sie aber auch schon einmal Angst, als Vater zu helikoptern?

JAN ABELE: Ja. Ich habe mich dabei beobachtet, wie ich aus Angst, zu viel Nähe zu meinem Sohn zu entwickeln, als betont cooler Vater aufgetreten bin. Ich versuchte, es mir gar nicht anmerken zu lassen, wenn ich Angst um mein Kind hatte, stellte dann aber fest, dass das unseren Sohn nur verunsichert, weil er ja merkt, dass ich nicht authentisch bin. Daraufhin habe ich mich gefragt, warum ich mich eigentlich so verunsichern lasse. Ich kam zum Entschluss: Wenn ich ein sehr fürsorglicher Vater bin, dann schadet das meinem Kind nicht. Seither geht es mir viel besser. Ich habe außerdem viel zum Thema recherchiert und bin mir jetzt nur umso sicherer, dass wir Kinder heute viel enger begleiten als früher einmal, dass das aber auch sehr viel Positives bewirkt. Ich möchte einfach mehr Differenzierung in die Debatte hineinbringen und den gesunden Menschenverstand zu Wort kommen lassen.

Jan Abele (45) mit seinem bald 7jährigen Sohn Mattis. Abele war stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift „Neon“ und des Elternmagazins „Nido“. Heute arbeitet er als freier Journalist in Hamburg und schreibt vor allem zu Familienthemen und Nachhaltigkeit.
Jan Abele (45) mit seinem bald 7jährigen Sohn Mattis. Abele war stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift „Neon“ und des Elternmagazins „Nido“. Heute arbeitet er als freier Journalist in Hamburg und schreibt vor allem zu Familienthemen und Nachhaltigkeit. © (c) Bert Heinzlmeier

Der riesige Markt an Erziehungsratgebern zeigt allerdings: Eltern sind über weite Strecken ratlos, sonst würden sich sogenannte Expertisen nicht so gut verkaufen. Was verunsichert Väter und Mütter dermaßen?

JAN ABELE: Eltern stehen mittlerweile ständig im Brennglas. Erziehung ist ein Medienthema, man wird dabei ständig von der Öffentlichkeit beobachtet und bewertet. Das ist ein großer Unterschied zu der Generation, die in den 1980ern Eltern waren: Die konnten noch etwas unbekümmerter agieren. Jetzt führt die Angst, etwas falsch zu machen, dazu, dass man lieber in einen Ratgeber schaut. Hinzu kommt das Gefühl, dass uns die Kinder auf der Nase herumtanzen. Damit kann keiner gut umgehen, weil es immer impliziert, dass man als Elternteil falsch erzieht. Auch mein Sohn ist manchmal gefühlt respektlos, ich habe das zumindest eine Zeit lang so verstanden, heute sehe ich es anders. Dass er sich Sachen traut, die ich mir gegenüber meinem Vater nie erlaubt hätte, hängt schließlich auch mit dem Vertrauensverhältnis zusammen, das wir heute haben. Er weiß: Die Grenzen sind für ihn weiter gesteckt. Papa ist ein lieber Typ – der wird mir nicht gleich eine knallen, wenn ich ihn ärgere.

Gewaltanwendung kommt aber ohnehin nicht mehr infrage.

JAN ABELE: Richtig. Es herrscht breiter Konsens darüber, dass man ein Kind nicht anrührt und ihm auch keine Angst macht. Das führt dazu, dass es in der Öffentlichkeit so aussieht, als hätten Eltern gar keine Autorität mehr oder Kinder würden ihren Eltern gar keinen Respekt zollen. Ich weiß, dass es viele Eltern schrecklich finden, wenn jemand zu ihnen sagt: „Deine Kinder sind schlecht erzogen.“

Dann wird wieder zum Ratgeber gegriffen.

JAN ABELE: Dahinter steckt allerdings auch eine ganze Industrie, und die einzelnen Expertisen widersprechen sich dermaßen, dass ich meine: Da kann ich auch meinen eigenen Weg gehen. Im Gegensatz zu allen sogenannten Experten haben wir als Eltern ja den Vorteil, unser Kind zu kennen, seit es geboren wurde. Deshalb fühle ich mich auch kompetenter dem eigenen Kind gegenüber. Ich kenne seine Marotten, seine Stärken und seine Schwächen.

„Eltern sind von Natur aus kompetent“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Alle Eltern? Ist das wirklich Ihr Ernst?

JAN ABELE: Ich maße mir auch selbst nicht an, alles richtig zu machen, aber ich glaube, dass die meisten Eltern ihre Kinder total richtig und gut erziehen. Dass es daneben auch eine Gruppe von Eltern gibt, die helikoptern oder – um auch das andere Ende der Skala zu nennen – ihr Kind vernachlässigen, ist klar. Aber das ist die Minderheit.

Was macht Sie da so sicher?

JAN ABELE: Ein Indiz für diesen Befund ist die Shell-Jugendstudie von 2017: 90 Prozent der befragten Jugendlichen gaben hier an, ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern zu haben. In den 1960ern und 1970ern waren Eltern oft noch Feinde. Da dachte man auch, das müsse so sein. Heute findet der Abnabelungsprozess vertrauensvoller statt – nicht mehr so harsch mit bunten Haaren oder Rauswurf. Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist besser. Man kann zu Eltern also mit Fug und Recht sagen: Hört viel mehr auf eure Bedürfnisse, wenn ihr euer Kind in den Arm nehmen wollt, statt es zu maßregeln! Es wird deshalb kein schlechter Mensch werden. Das ist auch so eine Angst: Dass ein Kind einen Schaden erleidet, wenn man es nie bestraft. Nur weil es in einem Ratgeber steht, zeigen Eltern plötzlich eine Härte, die es für das Kind vorher nicht gab, das führt dann eher zu einem Vertrauensbruch zwischen Eltern und Kind.

Was ist Ihre persönliche Methode, mit der Sie den Druck reduzieren, dem Eltern in Erziehungsfragen immer ausgesetzt sind?

JAN ABELE: Einerseits habe ich, wie gesagt, gelernt, es nicht persönlich zu nehmen, wenn mein Kind einmal nicht auf mich hört. Andererseits achten meine Frau und ich sehr genau darauf, wie sich unser Sohn entwickelt: Er hat ein gutes Sozialverhalten und schafft es auch, sich ganz gut abzugrenzen. Das gibt uns Kraft und Selbstbewusstsein. Ich sehe viel zu oft Eltern, die sich selbst kritisieren, obwohl sich ihre Kinder gut entwickeln.