Wann sollte man Kindern sagen, dass man sich als Eltern trennt?

Sandra Teml-Jetter: Wenn klar ist, dass die Beziehung vorbei ist und der Deklaration ein Handeln folgt. Wenn Partner nicht mehr zusammenleben möchten, folgt meistens ein äußerer Akt. Sie schlafen nicht mehr in einem Bett oder ein Elternteil zieht aus. Kinder spüren sowieso, wenn etwas los ist.

Gibt es ein Patentrezept, wie man es Kindern sagt?

Sandra Teml-Jetter: Je kleiner die Kinder sind, desto weniger können sie damit anfangen. Wenn es halbwegs möglich ist, erklärt man es den Kindern gemeinsam. Die letzten Paare, an die ich mich konkret erinnere, haben sich von uns vorab informieren lassen, was sie in dieser Situation erwarten könnte. Oft ist Trennung aber kein gemeinsamer Entschluss und einem Partner bleibt nichts anderes übrig, als die Entscheidung mitzutragen. Reife Erwachsene überlegen sich dann, wie sie es den Kindern übermitteln können, dass dies nun der richtige Weg ist. Es ist dann wichtig, zu sagen, wie man trotzdem als Eltern für die Kinder da ist, und es ist wichtig, sich gegenseitig in die elterliche Verpflichtung zu nehmen.

Haben Sie den Eindruck, dass viele Eltern diese gemeinsame Verantwortung annehmen?

Sandra Teml-Jetter: Ich denke, dass die meisten Paare sehr auf das Kindeswohl bedacht sind. Wenn das Paar gemeinsam zu uns kommt, ist das auch so. Manchmal kommen aber auch einzelne Eltern, die sich Hilfe von außen holen. Unlängst hatte ich eine Frau mit einer neunjährigen Tochter, die mir sagte, sie werde sich an ihrem Mann rächen. Das lasse ich dann zunächst so stehen. Aber ich habe ihr gesagt, im Sinne des Kindeswohls würde ich schauen, ob sie mit ihrer Wut nicht anders umgehen kann. Denn dieses Kind bedeutet noch eine sehr lange Bindung. Es ist bei einer Trennung sehr wohl die Reife der Erwachsenen gefragt, aber bei manchen ist es mit der Reife nicht sehr weit her.

Für die gemeinsame Obsorge nach der Trennung gibt es viele Modelle. Haben Sie Erfahrungen, was sich am besten eignet?

Sandra Teml-Jetter: Es ist alles gut, was für alle Beteiligten funktioniert. Dabei muss man aber bedenken, dass jede Lösung aus Sicht der meisten Kinder nur die „zweitbeste“ ist. Obwohl sich auch einzelne Kinder wünschen, dass sich ihre Eltern trennen. Ich lade dazu ein, die Dinge auszuprobieren und zu schauen, was passt. Mit den vielen neuen Modellen müssen wir auch kreativ werden. Als ich mich vor 20 Jahren getrennt habe, war mein Sohn zwei Jahre alt. Da existierte in unserer Gedankenwelt die Betreuung 50 : 50 nicht einmal. Jetzt ist das ein gängiges Modell und es kommt ständig Neues hinzu. Zum Beispiel das Nestmodell mit drei Wohnsitzen. Das Kind bleibt in einer Wohnung, die Eltern leben wechselweise dort, haben aber jeweils noch eine eigene Wohnung. Das würden viele gerne machen, aber es können sich die wenigsten leisten.

In vielen Fällen kommt bald ein neuer Partner dazu. Das beeinflusst jedes Modell. Wann konfrontiert man das Kind mit Stiefeltern und -geschwistern?

Sandra Teml-Jetter: Es gibt keine ideale Lösung. Das wissen wir immer erst in 30 Jahren, wenn die Kinder groß sind. In der Regel haben die meisten Menschen sowieso eine Scheu, gleich wieder mit einem neuen Partner zusammenzuziehen. Es geht auch oft schief, wenn man von einem Nest ins andere geht. Ich würde schon im Sinne der Kinder zu einer gewissen Bedachtheit raten. Sie müssen erst einmal verarbeiten. Ich würde den Kindern die Zeit geben, sich an die neue Situation zu gewöhnen. Wenn man neu verliebt ist, will man – und da spreche ich aus beruflicher und persönlicher Erfahrung – mit dem neuen Partner viel Zeit alleine genießen und nicht gleich wieder in eine Familie einsteigen. Das hat mir auch geholfen, aus meiner Mutterrolle auszusteigen und in eine andere Welt einzutauchen.

Wie lang sollte man seiner Intuition folgen und ab wann sollte man professionellen Rat suchen?

Sandra Teml-Jetter: Man muss nicht alles alleine schaffen und es gibt ein großes Angebot. Das gab es vor 20 Jahren nicht. Ich bin damals einmal auf das Bezirksgericht gegangen. Es gab Psychotherapeuten, aber keine Anlaufstellen für Patchworkfamilien. Man sollte alles tun, was Eltern ein Stückchen beruhigt. Denn nichts ist schlimmer für ein Kind als unsichere, ängstliche Eltern. Ich plädiere für Bauchgefühl und den gesunden Hausverstand. Aber wenn sich ein Paar trennt, dann bleiben meist offene Themen. Geld ist immer etwas, wobei wahnsinnig gestritten wird. Über diese Konflikte stolpert das Paar dann immer wieder, wenn sie sich treffen. Wenn sich Konflikte aufgrund von Rachegelüsten auftun, sollte man sich im Sinne des Kindeswohls Hilfe suchen und begleiten lassen. So findet man eine Brücke zwischen den beiden neuen Systemen, dem Vater- und dem Muttersystem. Das ist mir als Coach ein großes Anliegen, dass die Eltern diese Verantwortung wahren, dass der Weg von einem System ins andere kein Kriegsschauplatz ist, sondern eine Friedenszone. Wenn ich es alleine nicht schaffe, Frieden zu haben, dann muss ich mir einen Friedensrichter suchen.

Welche Rolle können Stiefeltern in diesem Gefüge spielen?

Sandra Teml-Jetter: Ich hatte einen Fall, da haben sich die Eltern die Betreuung zur Hälfte geteilt. Der Mann war in einer neuen Beziehung, wollte aber trotzdem das System seiner Ex-Frau immer noch mitpflegen. Bei ihm existierte der Irrglaube, wenn er die Kinder zu ihr gebracht hat, sei man wieder Vater und Mutter. Dann könne man ruhig etwas zu viert machen. Das ist ein Kapitalfehler, wenn es neue Partner gibt. Aus bedeutet aus. Ich rate immer nur zur Wartung des aktuellen Systems, für das ich mich entschieden habe. Das ist die Loyalität zu meiner neuen Partnerin.

Was heißt das konkret?

Sandra Teml-Jetter: Man kann dann nicht zur Ex-Frau zum Abendessen gehen und der Kinder wegen zu viert am Tisch sitzen. Es gibt auch den Fall, da haben die Eltern dem Kind gar nicht gesagt, dass sie sich getrennt haben. Das Kind hat das nicht mitbekommen, weil der Vater immer noch hingefahren ist und sie im alten Vater-und-Mutter-System Zeit miteinander verbracht haben. Ich rate davon ab, für die Kinder noch eine gemeinsame Elternschaft aufrechtzuerhalten.

Gibt es für die neuen Stiefeltern eine spezifische Rolle, die sie einnehmen können – als Bonus- oder Co-Elternteil?

Sandra Teml-Jetter: Kinder werden nie sagen, dass sie vier Eltern haben. Es gibt systemisch eine hohe Loyalität zu den eigenen Eltern. Kinder vermischen das nicht. Mein Mann sagt immer, er war nie Bonus-Vater oder Co-Vater, sondern Stiefvater. Er mag diese Verniedlichung dieses Wortes nicht. Stiefeltern sind eine sehr archaische Rolle und die ist wirklich schwierig. Da musste er sehr oft an sich halten. Mein Sohn hat bis heute einen guten Kontakt zu seinem Vater. Er hat sehr klare Grenzen gezogen, obwohl er ihn seit seinem zweiten Lebensjahr kennt. Er hat ihm auch zu verstehen gegeben: „Du bist nicht mein Papa.“ Mein Mann hat sehr an sich arbeiten müssen, dass er das nicht persönlich nimmt. Er hat ihm Angebote gemacht und ich würde sagen, er ist ein Bonus-Mensch seit dem Zeitpunkt, an dem mein Sohn ausgezogen ist.

Gibt es Besonderheiten im Verhältnis zur Erziehung in Beziehungen, in denen beide Elternteile noch zusammenleben?

Sandra Teml-Jetter: Das Wichtigste für Kinder ist, dass es den Eltern gut geht. Es bringt überhaupt nichts, wegen der Kinder in einer Beziehung zu verharren, die nicht mehr wachsen kann. Dann ist der Pausenknopf im Leben gedrückt und Kinder lernen diesen Pausenmodus als Dauerzustand kennen. Sie lernen aber nicht, wie man enthusiastisch lebt und wie man Konflikte sowie Probleme angeht. Insofern ist auch eine Trennung ein wunderbares Beispiel, wie man mit dem Leben umgeht und es meistert und auch durch schwierige Situationen gehen kann. Ich halte nichts davon, der Kinder wegen zu bleiben. Da bin ich eine große Skeptikerin. Ich ermutige Eltern und jeden Menschen, zu schauen, dass er sein Wohlbefinden leben kann und sein Potenzial lebt. Das ist das, was Kinder brauchen.