Es begann damit, dass Andreas* auf einmal nicht mehr in den Kindergarten gehen wollte. Das hat mich gewundert, weil er mich früher,
wenn ich ihn zu Mittag abgeholt habe, oft wieder weggeschickt hat, weil er noch mit seinen Freunden spielenwollte. Ich habe zu der Zeit mein
zweites Kind erwartet und dachte, dass er vielleicht auf die Veränderung reagiert. Aber dann hat er auch nichts mehr gegessen und wieder begonnen, in der Nacht ins Bett zu machen.

Das ging zwei bis drei  Monate so. Dann begann er immer wieder zu sagen: „Ich bin dumm und blöd. Ich bin ein dummer Andreas.“ Als ich ihn fragte, woher er das habe, meinte er, dass einige Kinder im Kindergarten das zu ihm sagen würden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich dann das Gespräch mit der  Kindergartenpädagogin gesucht, aber das führte leider zu nichts. Sie wiegelte bloß ab und meinte, dass Andreas ein schwieriges Kind sei. Also habe ich versucht, Kontakt mit den Eltern und sogar Großeltern der Kinder und vor allem eines Burschen aufzunehmen. Mein Vorschlag war, sich ohne Kinder zusammenzusetzen und eine Lösung zu suchen. Aber dazu war niemand bereit.

"Niemand wollte mit mir darüber sprechen"

Ich fühlte mich machtlos, da Andreas immer mehr unter der Situation litt, aber niemand wirklich mit mir darüber sprechen wollte. Sie meinten nur, dass das die Kinder unter sich ausmachen sollten. Der Höhepunkt war schließlich erreicht, als mehrere ältere Kinder Andreas im dunklen WC im Kindergarten einschlossen und die Tür mit einem Springseil verbarrikadierten. Als ich die Kindergartenpädagogin darauf ansprach, meinte sie bloß, dass das ein blöder Scherz gewesen sei und dass ich überreagiere, weil ich schwanger sei.

Nun konnte Andreas nur noch bei eingeschaltetem Licht schlafen und machte jede Nacht ins Bett. Er sprach auch nichts mehr, sein einziger Freund war sein Lieblingsstofftier, das er nicht mehr beiseitelegte. Das war auch der Moment, in dem ich mir professionellen Rat bei einer Kinderpsychologin geholt habe, da ich auch bemerkt habe, dass das Problem nicht nur bei den Kindern liegt, sondern auch bei der Kindergartenpädagogin, die meinen Sohn sehr oft als Strafe ohne Aufsicht in die Garderobe setzte.

"Auch in die neue Gruppe musste ich Andreas begleiten"

Nach mehreren Sitzungen und einem Gespräch, an dem wir als Eltern und die Kindergartenpädagogin teilnahmen, kamen wir zu dem Entschluss, die Kindergartengruppe zu wechseln. Aber auch in die neue Gruppe musste ich Andreas anfangs jeden Tag begleiten, weil er sich nicht mehr traute, Anschluss zu den anderen Kindern zu suchen. Dank der engagierten neuen Kindergartenpädagogin, die Andreas so nahm, wie er war – zu diesem Zeitpunkt schwer traumatisiert –, fasste er langsam wieder Mut und Vertrauen in sich und seine Umgebung. Aber so wie vor dieser Zeit ist er immer noch nicht ganz. Ich habe noch immer das Gefühl, dass ihm ein Teil des Kindseins abhandengekommen ist. Wir wohnen in einem kleinen Ort, es ist leider nicht so leicht, sich aus dem Weg zu gehen. Deswegen treffen wir die anderen Kinder, die ihn damals gemobbt haben, regelmäßig.
*Namen von der Redaktion geändert