Die Krise geht an die Substanz: 23 Prozent der österreichischen Bevölkerung leiden aktuell an Angstsymptomen und 18 Prozent an Schlafstörungen. Schwere depressive Fälle haben sich im Jahr 2020 verzehnfacht. Auch Essstörungen bei Jugendlichen und Erwachsenen sind dreimal so häufig wie in den Jahren zuvor.

Aber wie ist es, wenn plötzlich eine psychische Erkrankung über einen hereinbricht? Drei Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen. Das Ziel: Mit ihrer Offenheit für mehr Verständnis und Akzeptanz in der Gesellschaft zu sorgen.

Nina (30) leidet an Angststörung und Magersucht

Eigentlich wollte Nina im März ein neues Kapitel aufschlagen: Die 30-Jährige zog nach Graz, um wieder mehr Möglichkeiten und Freiheiten zu haben. Aber kurz nach ihrer Ankunft stand die Welt still: „Ich habe sehr starke Ängste entwickelt. Ich hab mir jede Pressekonferenz angesehen und jede neue Zahl verfolgt.“ Ninas Angst vor einer Ansteckung wurde immer größer. Die Folge: Depression, Angst- und Panikstörung: „Irgendwann bin ich einfach gar nicht mehr rausgegangen.“

Auch Ninas Essstörung brach in dieser Zeit erneut aus: „Zum einen hat mir meine Angst den Appetit geraubt. Zum anderen hab ich mir auch gedacht: Warum sollte ich mir jetzt Kalorien zuführen? Ich mache den ganzen Tag nichts, das Energie braucht.“
Seit Anfang Jänner ist Nina nun stationär in Behandlung und seit einigen Monaten vorübergehend in Berufsunfähigkeitspension: „Ich bin durch meine Krankheit momentan auch körperlich nicht in der Lage zu arbeiten. In einem Jahr wird dann eine Untersuchung gemacht, um festzustellen, ob ich wieder in meinen Beruf zurückkann“, erzählt die ehemalige Operationsgehilfin.

Auch mit Vorurteilen hat Nina zu kämpfen – vor allem in Bezug auf ihre Essstörung: „Man hört immer wieder Dinge wie: ,Du brauchst ja nur essen, dann passt alles wieder.‘ Oder: ,Ich gebe dir einfach zehn Kilo von mir.‘ Das zeigt mir, dass viele Menschen diese Krankheit einfach nicht ernst nehmen. Es ist ja nicht nur so, dass man den Models hinterherjagt und gerne superdünn sein möchte. Da steckt viel mehr dahinter.“ Hoffnung setzt Nina vor allem in die Covid-19-Impfung: „Wenn ich geimpft bin, wird das meine Angst verringern.“

Sarah (25) leidet an Depression

Frisch zurück aus Spanien ging es Sarah vor sieben Jahren plötzlich sehr schlecht. Als der damaligen Studentin die Diagnose Depression gestellt wurde, war sie anfangs überfordert: „Ich wusste nicht, was das ist. Depressionen werden außerdem oft mit Suizid in Verbindung gebracht. Dass es Menschen danach wieder richtig gut gehen kann, hört man eher weniger.“

Mithilfe von Freunden, Familie, Therapie und Medikamenten bekam Sarah ihre Krankheit bald wieder in den Griff. Sie schloss ihr Studium ab und lebte zwischendurch in Spanien. Doch letzten Herbst meldete sich plötzlich ihre Depression zurück: „Ich hatte privat sehr viel Stress und mein neuer Job hat gar nicht zu mir gepasst“, erzählt die 25-Jährige.
Sarah litt unter starker Niedergeschlagenheit sowie Schlaf- und Appetitlosigkeit. Auch Suizidgedanken kamen und wollten nicht mehr verschwinden. Ein Aufenthalt in der Klinik folgte: „Es war nicht so, dass es mir ein paar Tage nicht gut gegangen ist. Es ist mir über Wochen einfach jeden Tag extrem schlecht gegangen. Jemand, der diese Krankheit nicht selbst hatte, wird nie ganz verstehen können, wie sich das anfühlt. Man kann Verständnis aufbringen, aber es nicht verstehen“, sagt Sarah.
Der Lockdown bedeutete für Sarah sowohl Mehrbelastung wie auch Erleichterung: „Einerseits gibt es mir natürlich viel Kraft, Zeit mit lieben Menschen zu verbringen. Das ist jetzt schwieriger. Aber in gewisser Weise spielt mir die Situation auch in die Karten. Dadurch, dass gerade die Welt stillsteht und niemand volle Leistung bringen kann, habe ich weniger Schamgefühl, weil ich gerade nicht funktioniere.“
Wichtig ist der jungen Frau, dass sie nicht über ihre Krankheit definiert wird: „Meine Depression ist nicht meine Persönlichkeit. Ich bin immer noch die Gleiche.“ Durchhalten ließ sie der Gedanke an Familie und Freunde: „An manchen Tagen kannst du nichts anderes tun als versuchen, es irgendwie auszuhalten. Ich habe mir im Kopf behalten, dass meine Familie und Freunde mich brauchen.“

Katarina (18) leidet an Magersucht

Die Schulbank drücken und in der Freizeit das Basketballtraining und die Zirkusschule besuchen: So sah Katarinas Leben vor dem März 2020 aus. Durch die vielen Aktivitäten war jeder Tag genau durchgeplant. Doch dann kam der Lockdown. „Für mich ist auf einmal jegliche Tagesstruktur weggefallen. Alles, womit ich normalerweise meine Zeit verbracht habe, hat nicht mehr existiert“, erzählt die 18-Jährige.

Kompensiert wurde die fehlende Beschäftigung von der Maturantin mit jeder Menge Sport: „Es hat damit angefangen, dass ich viele Work-outs gemacht habe. Dann wollte ich zum Muskelaufbau meine Ernährung umstellen und begann, immer genauer darauf zu achten, was ich esse“, sagt Katarina. Durch die fehlenden Mannschaftstrainings kam dazu, dass sie häufig das Gefühl hatte, Essen gar nicht verdient zu haben.
Erfolge motivierten Katarina, weiterzumachen: „Ich hab mir dann ständig gedacht: Da geht noch mehr. Ich kann noch mehr Sport machen und noch mehr abnehmen. Dann ging plötzlich alles ganz schnell.“
Heute liegt Katarinas BMI (Body Mass Index) bei rund 12. Von Normalgewicht spricht man ab einem BMI von 18,5. Seit Oktober war sie wegen ihrer Essstörung fast durchgehend stationär in einer Klinik in Behandlung. „Ich möchte unbedingt gesund werden und nächstes Semester Medizin studieren. Aber es ist immer noch sehr hart für mich, wenn ich zunehme“, erzählt Katarina.

Neben dem Lockdown dürften auch Erwartungsdruck und soziale Medien ihre Erkrankung befeuert haben: „Man sieht ständig die Bilder von perfekten, dünnen Menschen. Da hilft es auch nicht, wenn man weiß, dass diese Fotos wahrscheinlich bearbeitet sind.“ Auf ihrem Genesungsweg wünscht sich Katarina vor allem mehr Struktur und mehr Akzeptanz ihrer Krankheit in der Gesellschaft: „Menschen müssen diese Erkrankung ernster nehmen. Jemanden mit einer rein körperlichen Krankheit würde man auch nicht wegen seines Leidens beschimpfen.“

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