Frau Forstner, viele Menschen waren gestern in der Wiener Innenstadt unterwegs, mussten sich in Sicherheit bringen und lange ausharren bis sie nachhause konnten. Sie sind nun traumatisiert und verängstigt. Wie soll man mit diesem Gefühlscocktail umgehen, den dieses Erlebnis ausgelöst hat?

Cornelia Forstner: Bei solch außergewöhnlichen Ereignissen, gibt es Wirkfaktoren, die für Menschen extrem wichtig sind: Schutz, Sicherheit und Information sind diese drei großen Begrifflichkeiten. Wo fühle ich mich wohl und sicher? Und wie komme ich zu gesicherten Informationen. Was passiert gerade?  Sind die Einsatzkräfte präsent? Sind die Täter gefasst? Das bringt einem zumindest ein Stück weit Sicherheit in diese unsichere Situation. Man sollte auch soziale Kontakte, im Rahmen des derzeit möglichen, aktivieren und sich Unterstützung holen. Auch der Faktor Selbstwirksamkeit ist wesentlich: Wo kann ich selbst entscheiden? Was habe ich selbst in der Hand? Das nimmt Machtlosigkeit und das Gefühl von außen gesteuert zu sein, die solche Ereignisse in einem auslösen. 

Sie haben bereits erwähnt, dass es wichtig ist, mit dem sozialen Umfeld darüber zu sprechen. Wie kann man in so einem Gespräch Trost spenden und helfen?

Wesentlich ist ein achtsamer Umgang mit dem Gegenüber: zuhören, sich auf die andere Person einlassen und nicht die eigenen Geschichten in den Vordergrund stellen. Bei Ratschlägen muss man in diesem Fall sehr vorsichtig sein und sich am besten zurückhalten. Es geht ums aktive Begleiten und Unterstützen. Man erkundet mit dem Gegenüber, was für diese Person nun hilfreich sein könnte. Wir alle haben unterschiedliche Zugänge zu Situationen und wir reagieren auch so individuell, dass allgemeine Floskeln oder Verharmlosungen nicht helfen. Alles, was verallgemeinernd gesagt wird, ist in diesem Fall oftmals sehr schwer annehmbar.

Coronavirus, Lockdown, Terror: Momentan überschlagen sich die negativen Meldungen. Was kann man in dieser Zeit für seine Psyche tun, um nicht in dieser Traurigkeit zu versinken?

Cornelia Forstner, KIT Steiermark
Cornelia Forstner, KIT Steiermark © Privat

Mehr von jenen Dingen tun, die gut laufen und zum eigenen Wohlbefinden beitragen. Es kann auch helfen, sich gedanklich an positive Erfahrungen und Erlebnisse zu erinnern. Das kann man auch gemeinsam mit anderen machen. Positive Gedanken bringen auch positive Gefühle mit sich. Das sind wesentliche Dinge, die wir selbst in der Hand haben. Es gibt auch Übungen, wo man sich einen gesicherten oder schönen Ort vorstellt und sich in Gedanken verbildlicht und dadurch sich selbst beruhigen kann. Das nennt sich imaginatives Verfahren. Gerade in der Psychotraumatologie arbeitet man viel mit Sinneseindrücken, negativen Sinneseindrücken werden hier positive gegenübergestellt. Das können Gerüche sein, ein besonderer Geschmack, positive Bilder oder auch Musik. Wichtig ist auch, sich nicht zu viel zu erwarten, sondern in kleinen Schritten zu gehen. Das Coronavirus und nun der Terror lassen die Welt vor der eigenen Haustür immer mehr wie ein gefährliches und feindliches Gebiet erscheinen. Man könnte sich anstecken oder gar attackiert werden. Wie kann man diesen Ängsten entgegentreten?

Wenn sichere Orte unsicher werden, ist das eine schwierige Frage. Dadurch, dass anscheinend noch nicht alle Täter gefasst sind, könnte es sein, dass die Sicherheit auch ein Stück weit durch die vermehrte Polizeipräsenz wiederhergestellt werden kann. So kann man der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Vertrauen in Situationen erlernen wir aber durch Erfahren. Um wieder Vertrauen in diese Situationen zu bekommen, muss man sich auch wieder in diese Situationen begeben, wo dann nichts passiert. Deshalb darf man auch nicht damit aufhören und sich nur noch Zuhause verkriechen. Die Devise lautet: Hinausgehen und Vertrauen schaffen, damit das Umfeld wieder funktioniert.

Sie haben zuvor über die Macht der eigenen Gedanken gesprochen. Wann und bei welchen Beschwerden sollte man sich professionelle Hilfe suchen?

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Ich möchte hier generell die Ermutigung aussprechen, dass sich Menschen in diesen herausfordernden Zeiten, egal was sie erleben, Hilfe und Unterstützung holen. Es gibt Hotlines und Webseiten, das Angebot ist groß. Wenn man nun aber so etwas Außergewöhnliches erlebt hat, sagt man, dass Reaktionen vier bis sechs Wochen danach, normal sind. Das Gehirn muss sich erst erholen: Ängste, Bilder sehen, schlechter Schlaf, Appetitlosigkeit, Vergesslichkeit sind normal. Da braucht es wie bei einer körperlichen Verletzung, ein Stück weit Zeit zur Erholung und Pflege, die man sich auch selbst entgegenbringen muss. Wenn einen diese Bilder aber nicht loslassen, wenn man sich beispielsweise noch lange vor gewissen Geräuschen erschreckt, dann ist es Zeit, sich professionelle Unterstützung zu holen. Wenn es sich um traumatische Ereignisse handelt, gibt es auch Psychotherapeuten und Psychologen mit Zusatzqualifikationen zur Trauma-spezifischen Beratung.