Katja Jungwirth hat vier Kinder, einen alten Hund und eine seit zehn Jahren todkranke Mutter. Seit fünf Jahren braucht sie regelmäßige Betreuung und Pflege, die in erster Linie Katja Jungwirth leistet. Im Interview erzählt sie über die Herausforderungen, die sich pflegenden Angehörigen stellen, wie sich die Mutter-Tochter-Beziehung verändert und wie sie selbst dem Älterwerden begegnet.

Ihre Mutter lebt schon über zehn Jahre mit der Diagnose „todkrank“. Wie geht man damit um, nicht zu wissen, wann das Ende wirklich kommen wird?

Katja Jungwirth: Über das Ende denkt man nicht so viel nach. Man freut sich über das Jetzt. Das heißt, ich freue mich über das Jetzt, meine Mutter wünscht sich das Ende. Natürlich durchlebt meine Mutter Hoch- und Tiefphasen, aber ich muss sagen, das Tief hält jetzt schon länger an und sie würde sich ein Ende wünschen.

Was sind die größten Herausforderungen als pflegende Angehörige?

Für mich ist es die psychische Belastung. Das Sich-so-schwer-abgrenzen-Können, weil es doch um die Mutter geht, mit der man sein ganzes Leben stark verbunden ist.

Welche Hilfestellungen würden Sie sich dabei wünschen?

Für mich persönlich wäre es am schönsten, meine Mutter wäre perfekt betreut, würde fremde Hilfe annehmen, für Mahlzeiten und Körperpflege wäre gesorgt und ich müsste nur zur Unterhaltung kommen, zu Besuch, unbelastet und ohne diese ständige Angst, etwas zu übersehen.

Gibt es in diesem Alltag mit vier Kindern, Enkelkindern, altem Hund und der Pflege Ihrer Mutter Raum zum Erholen? Wie viel Zeit bleibt da für Selbstfürsorge?

Ich bin seit über drei Jahrzehnten Vollzeitmutter und quasi im Bereitschaftsmodus. Ein wirklich liebevoller, großzügiger Ehemann hilft da ungemein. Selbstfürsorge lässt sich nicht in Zeitangaben messen. Zwischen meiner Mutter, den Kindern, dem Haushalt und dem alten Hund reicht mir oft ein gutes Gespräch, ein herrlicher Kaffee oder ein spannendes Buch zur Erholung.

"Meine Mutter, das Alter und ich" von Katja Jungwirth
"Meine Mutter, das Alter und ich" von Katja Jungwirth © K&S

Inwiefern hat die Erfahrung der Pflege Ihrer Mutter Ihre Sicht auf das Älterwerden beeinflusst?

Niemand ahnt, wie das eigene Alter sein wird: Stirbt man mit 74, wie mein Vater, oder fährt man mit 90 Jahren noch zu Schachweltmeisterschaften wie mein Schwiegervater? Manchmal stelle ich mir vor, nie mehr das Haus verlassen zu können, abhängig von anderen zu sein. Herrlich, denke ich dann, keine Verantwortung, ich bleibe in meinem Sessel, lese oder schaue den ganzen Tag TV-Serien. Das hätte ich heute gerne. Aber im Alter? Der Sessel drückt, die Augen schmerzen, das Buch ist zu anstrengend und die Filme fad, es kommt zu selten jemand zu Besuch – ich bin doch einsam und so abhängig! Die Pflege meiner Mutter lässt mich heute wissen: Ich möchte meinen Kindern nicht zur Last fallen. Aber was sage ich mit 80, 90 Jahren? Wann bin ich Last? Sehe ich das dann auch so? Das ist ein großes Thema für mich.

Haben Sie Angst vor dem Alter?

Da ich mich sehr intensiv mit dem Thema beschäftige, würde ich lügen, wenn ich Nein sagen würde. Aber es ist nicht Angst. Es ist eher die Anspannung, eher die Frage: Wie wird es mich erwischen?

Was würden Sie als die größten Veränderungen in Ihrer Mutter-Kind-Beziehung beschreiben?

Wenn man jung ist, sind die Rollen klar verteilt: Da ist die Mutter, die sagt, wo es langgeht, dort das Kind, das dem mehr oder weniger folgt. Die größte Veränderung war für mich, plötzlich zu sehen: Sie will von mir wissen, wohin die Reise nun geht. Meine Mutter war für mich immer die erste Instanz in allen Lebensfragen. Das ist leider vorbei. Ich kann die Frau, die Mutter, die sie einmal war, zwar immer noch sehen, aber nur, weil ich weiß, wonach ich suchen muss.