Das eigene Leben auf die Waagschale legen und hinterfragen: Wo braucht es Revisionen, wo braucht es Orientierungshilfen, ist gar ein Neustart notwendig? Es ist der Neubeginn eines Jahres, heuer sogar eines Jahrzehnts, der solche Überlegungen in vielen Menschen anstößt. Vor einer ähnlichen Zäsur stand Matthias Strolz im Mai 2018, als er seinen Rückzug aus der Politik bekannt gab. Damals hatte er sich eines geschworen: „nicht gleich in die nächste Obsession abgleiten“.

Stattdessen schloss er mit einer Phase des Sich-neu-Erfindens an seine Aufbauarbeit als Parteigründer in der Politik an, machte sich leer – auch buchstäblich durch Kräuterwasser-Erbrechen im Rahmen einer indischen Ayurveda-Kur –, um sich mit Neuem füllen zu können. Aus seinem persönlichen Weg hat der sich selbst als „Veränderungsreisender“ Bezeichnende Schritte zur Selbstentfaltung destilliert.

1. Das Bewusstwerden. Strolz lädt Menschen dazu ein, gedanklich in einen Hubschrauber einzusteigen, mit diesem in die Höhe zu steigen und auf sich selbst zu blicken: Was ist rund um mich, was ist in mir drin los? Was fühle ich, was höre ich von meinem Umfeld, von Menschen, die es gut mit mir meinen, und solchen, die es nicht gut meinen? „Dieses Bewusstwerden braucht ein Innehalten, weil die Welt so laut ist, dass wir es ohne Innehalten und ohne geschützten Raum nicht hören“, sagt Strolz. Auf einem Bankerl sitzen, in die Sonne blicken und über das eigene Leben meditieren – so beschreibt Strolz ein mögliches Szenario für diesen „Einkehrschwung“ bei sich selbst.

2. Raum schaffen. An den Feiertagen mag das Bewusstwerden noch gut funktionieren. Doch mit dem neuen Jahr bricht der Alltag wieder in das Leben ein – wie gelingt der Übergang von der Erkenntnis zur Veränderung? „Wenn etwas Neues im Leben Einzug hält, dann gilt es als zweiten Schritt, Raum dafür zu schaffen“, sagt Strolz. „Denn: Wenn ich mir neue Kleidung kaufe, muss ich in der Regel auch im Kleiderkasten Platz machen.“ Loslassen ist dabei das zentrale Wort für Strolz, der für sich ein Ritual gefunden hat: „Wenn ich merke, der Gschaftlhuber in mir hat wieder zugeschlagen, nehme ich meinen Kalender und stehe nicht auf, bevor ich nicht fünf Termine abgesagt und zu drei Angeboten Nein gesagt habe.“

Loslassen kann aber auch mit Angst verbunden sein – der Angst vor Veränderung. Strolz: „Zunächst ist Angst unsere Schutzverbündete, weil sie uns vor Gefahren warnt, andererseits ist der persönliche Angstgarten auch unser Schatzgarten.“ Was das bedeutet, erklärt Strolz in Anlehnung an den US-Mythenforscher Joseph Campbell so: „Dort, wo dir die Knie schlottern, dort musst du graben – dort wo deine größte Angst ist, wartet deine größte Entfaltungsmöglichkeit.“ In diesem Sinne stellte sich Strolz vor dem Gang in die Politik seiner Angst vor der nächtlichen Dunkelheit, ging für Tage allein in den Wald und wurde mit einer „unglaublichen Klarheit“ belohnt. „Seither begrüße ich die Angst mit den Worten: Ah, du bist es. Du bist ein Teil von mir, du bist Ausdruck meiner Lebendigkeit.“

3. Mit der Berufung verbinden. Es braucht eine leere Hand, um nach dem Neuen zu greifen – „aber bevor ich sofort irgendwohin greife, gilt es, am inneren Ort einzukehren“, sagt Strolz – der innere Ort ist laut dem MIT-Forscher Otto Scharmer die wissenschaftliche Metapher für Seele und Herz. Wenn Strolz es sagt, klingt es so: „Bevor ich Neues hereinlasse, befrage ich mein Herz. Berufung kann man auch als Stimme des Herzens übersetzen.“ Laut Aristoteles liegt die Berufung dort, wo die eigenen Talente die Bedürfnisse der Zeit treffen. Und was ist mein Talent? „Wir müssen erkennen: Was kann ich gut, was mache ich gern und wo in der Welt kann man das brauchen? Dazu müssen wir wach in die Welt schauen und uns fragen: Wo will ich mich einbringen? Das kann in meiner Rolle als Vater oder Mutter, als Führungskraft, als Experte sein. Die Antwort liegt aber jedenfalls in mir drin.“ Dann gilt: Das Neue findet nur statt, wenn man es tut – und dazu muss es im Kalender stehen. Während Strolz’ Politkarriere wurde die Zeit mit seiner Frau zu einem Kalendertermin, laut Strolz kennen das auch junge Mütter und Väter: „Wenn ich keine Zeit im Kalender für mich oder für uns als Paar reserviere, dann finde ich, finden wir nicht mehr statt.

4. Form geben. Darauf zu warten, dass das Neue in Vollkommenheit vom Himmel fällt, ist laut Strolz „Blödsinn“. Stattdessen beschreibt er einen Reifungsprozess – und eine Herangehensweise, die in der Start-up-Welt als Prototyping beschrieben wird. Anhand von aufwandsarmen, günstigen Testversionen arbeitet man sich an ein zukünftiges Produkt heran: Jene Prototypen, die abstürzen, werden ausgemustert. Jene Modelle aber, die abheben, werden weiter verfolgt, mit Ressourcen ausgestattet und reifen, so Strolz, somit zur Meisterschaft. „Dann landen wir in der Performanz, im Flow, in jenem Glückszustand, der aus der Meisterschaft kommt. Das ist zum Beispiel die Frau, die in der Bergwand klettert und sagt: Ich bin mit der Wand verschmolzen. Nicht ich finde die Griffe, die Griffe finden mich.“ Dabei könne aber auch jede Berufung irgendwann abreißen: „Es war schön und es ist vollendet. So wie ich gesagt habe: Meine Rolle als Parteigründer ist abgeschlossen. Wenn wir etwas weitermachen, was eigentlich vorbei ist, wird es blutleer.“

Gibt es den Punkt, an dem man fertig ist? Strolz: „Nein, den gibt es nicht. Jede Pforte, die wir durchschreiten, öffnet einen Raum, der wiederum fünf Türen für uns bereithält. Es geht immer einen Schritt weiter, in die Entfaltung, in die Erkenntnis, in die Weisheit.“