Das Knausern bis zum Gehtnichtmehr hat Lars Hattwig perfektioniert: Er hörte auf zu rauchen, verkaufte sein Auto, die Toilettenspülung drückte er nur noch so kurz wie möglich und in seiner Wohnung brannte eine Zeit lang nur noch eine Lampe. Gleichzeitig steckte er sein Erspartes in Kapitalanlagen. Sein Ziel? „Finanziell frei sein“, sagt Hattwig.

Früh in den Ruhestand dank Frugalismus: Lars Hattwig hat es geschafft. Nur auf der faulen Haut zu liegen ist ihm allerdings zu wenig
Früh in den Ruhestand dank Frugalismus: Lars Hattwig hat es geschafft. Nur auf der faulen Haut zu liegen ist ihm allerdings zu wenig © KK

Alles hinschmeißen, aussteigen, ein anderes Leben beginnen - davon träumen viele Menschen. Lars Hattwig hat dieses Vorhaben in die Tat umgesetzt. „Ich wollte zeitliche und geografische Unabhängigkeit - ich könnte jetzt theoretisch überall sein“, erklärt Hattwig, der mittlerweile nicht mehr arbeiten muss. Seit 2015 ist er im selbst gewählten Ruhestand. Seinen Beruf als Meteorologe hat er hinter sich gelassen, die finanzielle Unabhängigkeit im Alleingang erarbeitet. Und zwar ohne großes Erbe, Lottogewinn oder Managerbonus. Da drängt sich vor allem eine Frage auf: Wie geht das?

Am Anfang war das leere Konto

Für die Antwort braucht es einen Blick in den Rückspiegel: Lars Hattwig ist Anfang 30, als er pleitegeht. Sein Konto war leer. So leer, dass der Geldautomat kein Geld mehr hergab. „In diese Situation wollte ich nie wieder kommen“, erzählt Hattwig. „Ich wollte unabhängig sein.“ Auch wenn es der 48-Jährige damals noch nicht wusste: Er wandte ein Konzept an, das in den USA unter dem Namen „Fire“ bekannt wurde. „Financial Independence, Retire Early“, also finanzielle Unabhängigkeit erlangen, um möglichst früh in Rente zu gehen.

Im deutschsprachigen Raum bezeichnen sich die Anhänger dieser Bewegung als Frugalisten. „Frugal“ leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet so viel wie sparsam. „Frugalisten leben eine Weile unter ihren Verhältnissen, um sich später ein freieres Leben zu ermöglichen“, erklärt Hattwig, der selbst eine Zeit lang den Gürtel so eng schnallte, dass er 70 Prozent seines Einkommens beiseitelegen konnte. Gleichzeitig investierte er in Aktien. Von den Dividenden kann er heute gut leben.

Eine Bewegung mit Gegenwind

Ohne Kritik kommt Hattwigs Lebensstil nicht aus. Wird in den Medien über Frugalisten berichtet, die es geschafft haben, sammeln sich in den Kommentarspalten oft kritische Stimmen. Dieses Lebensmodell sei nur für Besserverdiener umzusetzen, so der Grundtenor.

Trendforscher Tristan Horx wundert die Kritik nicht: „Frugalismus ist eine Rebellenbewegung innerhalb des Systems. Die Anhänger dieser Bewegung zeigen der Konsumgesellschaft den Mittelfinger“, sagt der Experte. Das provoziere. Ähnlich wie beim Thema Nachhaltigkeit würden sich dadurch viele Menschen indirekt für ihren Lebensstil kritisiert fühlen. Sprich: Ihre Sparsamkeit wird den Frugalisten als moralische Überheblichkeit ausgelegt. Die Krux: Konsumkritik und Kapitalmarkt - wie passt das zusammen? Schenkt man dem deutschen Trendforscher Eike Wenzel Glauben, dann gar nicht. „Die Menschen verzichten nicht auf Konsum, um die Welt zu retten, sondern um nicht mehr arbeiten zu müssen“, erklärte er jüngst gegenüber der „Zeit“.

In der Hängematte liegen und der Sonne zusehen, wie sie auf- und untergeht - das sei nichts für Hattwig. Das Nichtstun komme für ihn deshalb auch nicht infrage: Seine Arbeit bestünde mittlerweile darin, sein Wissen über Frugalismus weiterzugeben, etwa mit seinem eigenen Blog und Seminaren.

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