Im Zeitalter der digitalen Kommunikation ist es leicht und häufig nur allzu verführerisch, ganze Gesprächsverläufe, die eigentlich nur für Zwei oder zumindest einen sehr engen Personenkreis gedacht waren, an Dritte weiterzuleiten – sei es zur allgemeinen Belustigung, als Beweis für eine Infamie oder einfach aus Gedankenlosigkeit. Vertraulichkeit kann bei E-Mails, Chats aus einem Internetforum oder WhatsApp-Verläufen weitgehend ausgedient. „Dass damit gegen Gesetze verstoßen wird, ist kaum jemandem klar und kann bei einer Eskalation oder im Konflikt zu schmerzvollen rechtlichen Konsequenzen führen“, sagt der Rechtsanwalt und Experte für Urheberrecht und Persönlichkeitsschutzrecht, Stefan Schoeller, und erklärt: „Schon seit 1936 ist in Paragraf 77 des Urheberrechtsgesetzes der sogenannte Briefschutz festgelegt. Er dient den Persönlichkeits- und Datenschutzrechten sowohl des Absenders als auch des Empfängers - allerdings nur dann, wenn ,berechtigte Interessen’ verletzt werden.“

"Briefe" im digitalen Zeitalter

Dass der Briefschutz nicht nur für klassische Briefe, sondern auch für WhatsApp, einen Chatverkehr oder E-Mails gilt, steht für den Juristen außer Zweifel: Unter Brief werde jede schriftliche, an eine bestimmte andere Person gerichtete Mitteilung verstanden. Die für einen Verstoß geforderte Öffentlichkeit sei bald erreicht, da jede Verbreitungshandlung, bei der damit zu rechnen ist, dass der Brief einer Mehrzahl von Personen sichtbar gemacht wird, den Öffentlichkeitsbegriff laut Gesetz erfülle. „Veröffentlicht wird also bereits dann, wenn den Brief mehrere Personen lesen können.“ Die Interessenabwägung, die für eine Entscheidung, ob eine Nachrichtenweiterleitung nun einen groben Rechtsverstoß darstellt oder nicht, lasse sich am besten anhand von drei Beispielen erklären:

1. Vertrauliche Chatnachrichten werden aus Sensationsgier weitergeleitet.

„Dadurch ergibt sich regelmäßig ein Eingriff in den Briefschutz und in das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Pargraf 16 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches“, sagt Schoeller. Dies sei zwar fast niemandem bewusst, der Verstoß sei aber eindeutig. Verletzte könnten auf Unterlassung klagen, wobei Gerichtsstreitwerte um die 42.000 Euro an der Tagesordnung seien und auch ein Schadenersatz für die ideelle Kränkung eingeklagt werden könne. „Nach den Streitwerten bemessen sich die Kosten für den gegnerischen Anwalt und die Gerichtsgebühren“, warnt Schoeller und fügt hinzu: „Ich bin der festen Überzeugung, dass solche Streite in einer Zukunft, in der unsere Persönlichkeit durch die unterschiedlichsten Kommunikationsarten, technischen Kanäle und Vertriebsformen zunehmend bedroht ist, eine immer bedeutendere Rolle spielen werden.“ Muss müsse sich daher bewusst machen, dass die Weiterleitung vertraulicher Nachrichten problematisch ist.

2. E-Mails & Co. werden weitergeleitet, weil man beim Betriebsrat beweisen will, dass man ein Mobbing-Opfer ist oder weil man vielleicht das sozial auffällige Verhalten eines Mitschülers aufdecken will.

„Bei der Interessensabwägung muss man hier besonders vorsichtig sein“, sagt Schoeller und ergänzt: „Stellt sich nämlich heraus, dass man die Verletzung der Persönlichkeitsrechte und des Briefschutzes quasi in Kauf nimmt, um ein allenfalls eher untergeordnetes Interesse zu befriedigen, wird dies zum rechtlichen Problem. Die Interessenabwägung schützt hier wohl eher den Verletzten.“ Ein überwiegendes Interesse – selbst wenn derzeit noch keine eindeutige OGH-Entscheidung vorliege – liege wohl auch vor, wenn man sich in einem Beweisnotstand findet, also man sein Recht nur dadurch beweisen oder durchsetzen kann, wenn man den Chatverkehr an die Behörden oder Gerichte weiterleitet. „In solchen Fällen tritt das Recht des Verletzten hinter das Interesse, ein sonst nicht beweisbares Recht durchzusetzen, zurück.“

3. In einem gerichtsanhängigen Obsorgestreit leitet ein Elternteil wichtige Informationen über seine/seinen Ex aus einem WhatsApp-Verlauf an einen Sachverständigen weiter.

„Es spricht einiges dafür, dass das erlaubt ist“, erklärt Schoeller. Zum einen gebe es eine OGH-Entscheidung von 2018, die belegt, dass solche Daten in Obsorgestreitigkeiten den Gerichten zur Verfügung gestellt werden dürfen, ohne dass sich der Autor dagegen wehren kann. „Sie müssen aber gleich nach Verfahrensende vernichtet werden“, sagt der Jurist und ergänzt: „Ich bin der Rechtsauffassung, dass eine solche Interessenabwägung die Vorlage von Briefen in einem Obsorgestreit erlaubt, wenn ich nur damit meinem Rechtsstandpunkt zum Durchbruch verhelfen kann, ich also ein übergeordnetes rechtliches Interesse habe, dass das Interesse der Autoren eines WhatsApp-Verkehrs am Datenschutz rechtlich überwiegt.“