Der Gemütszustand des Mannes scheint kein Mittelmaß zu kennen. Er oszilliert nahtlos zwischen „himmelhoch jauchzend“ und „zu Tode betrübt“. Das wird heute Abend nicht anders sein, wenn „sein“ FC Liverpool im Champions-League-Finale auf Tottenham Hotspur trifft.

Jürgen Klopp wird je nach Spielverlauf vor der Trainerbank wie ein furioses Rumpelstilzchen herumhüpfen, seine Arme wild gestikulierend durch die Luft schleudern, um im nächsten Moment in eine stoische Beobachterrolle zu wechseln. Er wird unverständnisgetrieben den Kopf schütteln oder lobend seine Spieler beklatschen, mit dem Pech hadernd sein Gesicht bis zum künstlich verdichteten Haarscheitel in seinen Händen vergraben oder glückselig sein dank Dentaltechnologie perfektioniertes Breitbandgrinsen anknipsen.

Einer, der fördert und fordert

Klopp ist mit jeder Faser die personifizierte Emotion. „Er ist ein überdurchschnittlicher Motivator, kann charismatisch Visionen vermitteln und wird seiner Vorbildfunktion gerecht, indem er die Leidenschaft lebt, die er von seinen Spielern fordert“, analysierte Jens Rowold einmal, der an der Technischen Universität Dortmund Personalentwicklung und Veränderungsmanagement lehrt. Tatsächlich verbindet Klopp höchste fachliche Kompetenz mit einer Naturbegabung als authentischer Antreiber und energiegeladener Einpeitscher, seine natürliche Autorität fußt auf Bodenständigkeit und Witz, Eloquenz und Empathie.

Er interessiert sich für seine Spieler (und deren Umfeld, Ideen und Sorgen) mit echtem Interesse und nicht vorgegaukelter Verständnisrhetorik – Fundament für hochindividualisiertes Fördern, aber auch Fordern. Dieser Mix macht den Fußballtrainer für Firmenchefs, Manager und Teamleiter zu einem Vorbild.Dieses Understatement gehört zur Selbstinszenierung des Deutschen, der sich beim Amtsantritt in England als „the normal one“ vorstellte – als koketter Kontrapunkt zu Kollegen Jose „the special one“ Mourinho.

Lenken und leiten

„Kloppo“, der Normalo? Das geht sich freilich nicht aus. Der 51-jährige ist zu einer Marke gewachsen, der den Marktwert des FC Liverpool seit seinem Amtsantritt 2015 auf zwei Milliarden Dollar verdoppelt hat. Nicht zuletzt Dank seiner Art des Lenkens und Leitens.

Experten wie Rowold sehen in Klopps Methodik mittlerweile das Modell des transformationalen Führens perfektioniert. Will heißen: Mitarbeiter folgen nur jenen Führungskräften, denen sie vertrauen, die sie als vorbildhaft wahrnehmen, die sie zu Höchstleistungen inspirieren und befähigen. Bei diesen Chefs sind sie überzeugt, es lohne sich, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und anspruchsvolle Ziele anzustreben. Sie tatsächlich zu erreichen, heißt das aber noch nicht. Auch dafür taugt Menschenfänger Klopp als Kopiervorlage. Sechs Mal stand er mit einem Team bereits in einem Endspiel. Gewonnen hat er bislang keines.

Gebrochen hätten ihn die Niederlagen jedoch nicht, versichert er. Es seien wichtige Erfahrungen. „Sie sind wie eine Medizin, die beschissen schmeckt. Gute Medizin muss schlecht schmecken, aber sie hilft“, sagt Klopp. „Für ich bedeutet das Leben, es immer wieder zu versuchen.“ Gegenüber der Deutschen Welle beschrieb er dieses Stehaufmanderl-Syndrom kürzlich so:

Das Wissen, alles gegeben zu haben, lässt keinen Platz für zerknirschtes Zweifeln. Klopp strahlt auch im Misserfolg noch Überzeugung aus. Wie das geht? „Ich interessiere mich sehr für andere Leute, aber es interessiert mich nicht, was sie über mich denken. Das führt in vielen Situationen dazu, dass ich ganz ruhig bleibe, wenn 90 Prozent der Leute nervös werden. Das macht vielleicht den Unterschied aus.“ Ob es reicht, wird man heute abend sehen.