Es wurde gelernt, geprüft, gefeilscht. Es ging um viel an diesen letzten Tagen des Wintersemesters in Österreichs Schulen. Es ging um die Noten im Halbjahreszeugnis - vor allem für die rund 85.000 Schüler der vierten Volksschulklassen.

Die weitere Bildungskarriere dieser Kinder entscheidet sich nicht selten in den Wochen kurz vor Semesterende. Geht sich mit einem überdurchschnittlichen Zeugnis die Qualifikation für das Gymnasium aus oder nicht? Diese Frage baut mächtig Druck auf. Auf Schüler, Eltern und das Lehrpersonal in den Volksschulen.

Je nach Bedarf und Persönlichkeitsstruktur der Eltern werden gute Noten erbettelt oder Drohkulissen aufgebaut, einschlägige Kontakte in höhere Instanzen ins Spiel gebracht oder der Nachwuchs in Prüfungsrallyes geschickt.

Sind Noten sinnvoll?

Auch wenn die Gymnasien Entscheidungsgrundlagen und Beurteilungskriterien brauchen und Noten in Volksschulzeugnissen die dafür üblichen Selektionsinstrumente sind, wird regelmäßig die Sinnhaftigkeit dieser Leistungstaxierung mittels Ziffern diskutiert.

„Noten sind in Wahrheit ein Instrument, um tatsächliche Leistungsstände von Schülern unsichtbar zu machen“, formulierte Schulpsychologe Josef Zollneritsch in einem Gastkommentar für diese Zeitung spitz. Potenziale und Förderbedürfnisse würden zu wenig berücksichtigt sein.

Auch der Soziologe Fritz Kast kam vor fünf Jahren in einer Untersuchung zum Schluss, dass die auf Basis von Noten erteilten Berechtigungen Illusionen über den tatsächlichen Leistungsstand der Schüler vermitteln. Kast führte an verschiedenen Volksschulen Lese- und Rechtschreibtests durch. Sein Fazit: Hinter gleichen Ziffernoten verbergen sich im direkten Schulvergleich höchst unterschiedliche Leistungen.

Verbale Beurteilung

Die Alternative, nämlich verbale Beurteilungen beispielsweise anhand von Lernzielkatalogen, wie sie erst 2016 ins Gesetz aufgenommen wurden, sollen ab dem Schuljahr 2020/21 schon wieder der Vergangenheit angehören. Zu wenig Aussagekraft wurde dieser von den Schulen und Klassen individuell wählbaren Form der Graduierung von Kritikern vorgeworfen - was aber nicht zuletzt daran lag, dass sich Lehrer weitgehend vorgefertigter Satzbausteine bedienen mussten. „Ein Gleichheitsimperativ“, ätzt der Wiener Bildungswissenschaftler Bernhard Hemetsberger.

Die Variante einer Kombination aus Noten und verbalen Ergänzungen bis zur dritten Klasse, wie es beispielsweise in der Steiermark 90 Prozent der Volksschulen praktizieren, soll es ab dem kommenden Schuljahr nur noch als Kür zu verpflichtenden Noten geben.

Dazu kommt am Ende des ersten Semesters der vierten Klasse eine „informelle Kompetenz- und Potenzialmessung“. So sollen die Übergangsmodalitäten in die AHS (ein Weg, den österreichweit ein Drittel der Schüler geht) oder Mittelschule standardisiert und objektiviert werden, hofft man im Bildungsministerium. Die Kritiker von Noten überzeugt das nicht. Und auch Schüler, die dieser Tage um bessere Noten kämpfen, hilft es wenig.

Angst vor dem Versagen

Der Druck bleibt. Die Angst vor einem Versagen ebenfalls. Noten werden als notwendiges Übel akzeptiert und mit dem Anspruch der Objektivität vergeben, bleiben aber selbst in Mathematik subjektiv, weil für den einen Lehrer der Lösungsweg, für den anderen das richtige Ergebnis mehr zählt. Und auch ihre Funktion hat sich geändert: Aus dem internen Rückmeldesystem, wie der Lehrer die Arbeit eines Schülers interpretiert, wurde ein Mitteilungssystem nach außen - und eine Maßeinheit für schulische Auf- und Umstiege.

Die Erfolgserwartungen an die Schüler werden dadurch nicht kleiner. Und wenn es doch nicht klappt? Gerade dann braucht der Nachwuchs Zuspruch. Vorwürfe wirken kontraproduktiv, mahnen Psychologen. Ärger sei normal, aber sollte nicht dazu führen, „dem Kind zu vermitteln, dass es nichts kann und aus ihm nichts wird“, warnen Experten der Beratungshotline Rat auf Draht (österreichweit kostenlos und anonym unter 147 erreichbar).

Sehnsucht nach Noten

Noten seien nur Momentaufnahmen, eine Zustandsbeschreibung des aktuellen Wissensstands - und das meist auch nur nach Einschätzung der Lehrer und im Vergleich zu den Leistungen der Mitschüler. Sie sagen aber nichts über die tatsächliche Intelligenz eines Kindes aus. Eine schlechte Note macht einen nicht zu einem schlechten Menschen.

Tatsächlich verschiebt sich durch den Ziffernmaßstab aber nicht selten die eigentliche Lernmotivation: Man lernt nicht mehr aus Interesse am Neuen, sondern um eine gute Note zu bekommen. Kinder würden sich aber auch ohne Noten ganz gut einschätzen können, relativiert der Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann: „Wer ein Problem mit der Einordnung hat, sind die Eltern.“ Daher deren Sehnsuchtnach Noten. Zum Nutzen ihrer Kinder?