Weil wir weniger Kinder bekommen, habe sich der Stellenwert des Kindes in den vergangenen 50 Jahren geändert. Bei 1,41 Kindern pro Frau sei der Druck hoch, dass das eine, erste Kind „gut gelinge“, so Erziehungscoach Martina Leibovici-Mühlberger im Interview in der aktuellen Ausgabe von „ehe und familien“, der Mitgliederzeitung des Katholischen Familienverbandes. Bei der Erziehung fehle daher die Lockerheit, Eltern würden mit Expertenratschlägen regelrecht zugemüllt und das Kind würde mehr und mehr „zum Produkt“. Eltern verließen sich in der Erziehung auch viel zu wenig auf ihr Bauchgefühl; insbesondere dann, wenn das Kind ein Objekt in ihrem Lebensentwurf sei, so der Befund der Expertin. Sie rät Eltern in den Fällen, in denen Großeltern vorhanden sind, diese als erfahrene Ressource und Unterstützung entsprechend wertzuschätzen und nicht zu sagen: „Wir brauchen das nicht! Mir soll ja keiner dreinreden!“

Kinder nicht mehr führen

Das Motto: Nix ist fix, alles ist möglich sei zunehmend auch Benchmark für gute Elternschaft. Daher dürfe man ein Kind heute nicht mehr führen sondern müsse es begleiten, so die Expertin. Man vertraue auf das Kind und das führe zu einer Verantwortungsumkehr. Dabei würden wohlmeinende Eltern, die für ihre Kinder nur das Beste wollen, Kinder produzieren, die orientierungsschwach seien und Werte wie Treue, Fleiß, Selbstdisziplin, Konsequenz oder Bedürfnisverschiebung  nicht mehr lernen, weil das mühevoll sei. Erziehung bezeichnet Leibovici-Mühlberger dann als gelungen, wenn die Kinder als junge Menschen und junge Erwachsene selbständig, autonom und selbsterhaltungsfähig sind.

Von sich aus zeigen

Aus kindlicher Sicht solle ein Kind erst dann in eine Fremdbetreuung, wenn es von sich aus und selber Interesse an der sozialen Interaktion mit anderen Kindern  zeigt. Das könne bei manchen Kindern schon mit zwei Jahren, bei anderen aber erst mit vier Jahren sein. Von einem verpflichtenden Kindergartenjahr ab dem vierten Lebensjahr hält die Expertin wenig. Das sei lediglich dort eine größere Chance für das Kind, wo die Familie versagt und Eltern die Erziehungs- und Betreuungsaufgabe für ihre Kinder nicht wahrnehmen könnten.  Den Ansatz des Kindergartens, jedes Kind individuell zu fördern, sieht sie kritisch. Damit würde nur der frühe kleine Egomane herausgebildet. Zentrale Aufgabe des Kindergartens sei aus ihrer  Sicht, Kinder in die Spielregeln des sozialen, wertschätzenden und kooperierenden Umgangs mit seinesgleichen einzuführen. 

Leibovici-Mühlberger verrät auch, wann ihre drei Kinder fremdbetreut wurden: „Es gab – individuell unterschiedlich – vor dem dritten Lebensjahr keine Fremdbetreuung außerhalb der Familie. Meine Kinder sind praktisch in einem Drei-Generationen Haushalt aufgewachsen, und ich war in einer extrem privilegierten Situation.“ Den Vätern rät sie, sich an der Familienarbeit zu beteiligen, ihre Rollenfunktion zu leben und Vorbild zu sein.

Aktuelle Statistiken

Das gesamte Interview sowie eine Auswertung der Kindergeld-Konto-Statistik von 2017 – knapp 40 Prozent entscheiden sich beim Kindergeldkonto mit 28 Monaten für den längstmöglichen Bezug – oder einen bundesweiten Vergleich zu den Öffnungszeiten der Kindergärten und der Erwerbsquote der Mütter – länger geöffnete Kindergärten bedeuten nicht unbedingt eine höhere Frauenerwerbsquote – finden Sie auf der Homepage www.familie.at und in der aktuellen Ausgabe von "ehe und familien".