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Die Gegenwart im Kopf

KUNSTSINNIG: Kuratorin Felicitas Thun-Hohenstein über klassische, feministische und alternative Kunstorte in Wien. Text: Julia Schafferhofer, Fotos: Kurt Pinte

Die Gegenwart im Kopf

„Der Neue Kunst­verein Wien leistet Pionierarbeit“, sagt Felicitas Thun-­Hohenstein vor der Videoanimation „Ore“ von Claudia Larcher


Wiener Innenstadt, Goethestraße 1: Die Albertina und den Burggarten im Rücken beherbergt diese Adresse auch die Bundestheaterholding, die Opernschule der Staatsoper oder den Neuen Wiener Kunstverein in einem verwinkelten Innenhof. Dort wird gerade gebohrt, gehämmert und gemalt. Die Vorbereitungen für die Vernissage „Set This House in Order“ laufen auf Hochtouren. Felicitas Thun-Hohenstein hat aufregende, arbeitsintensive Wochen hinter sich. Als erste „Kuratorin“ der Biennale in Venedig hat die Professorin der Akademie der bildenden Künste mit Renate Bertlmann zum ersten Mal eine Frau eingeladen, den Österreich-Pavillon im Alleingang zu bespielen. „Discordo, ergo sum“ („Ich widerspreche, also bin ich“) nennt die Künstlerin ihren mehrteiligen, von der Kritik umjubelten Biennale-Beitrag, für den sie im Binnengarten des Pavillons 312 rote Messerrosen, eine Art rote Armee, in einem präzisen Raster angelegt hat. Die einzelnen Blüten bestehen nicht aus zarten Blättern, sondern aus durchsichtigem, geronnenem Blutglas, seltsam durchstoßen von glänzenden Skalpellklingen. Bei der Pressekonferenz bezeichnete der frühere Kulturminister Gernot Blümel die Entscheidung als „mutig“. Thun-Hohenstein: „Das ist nicht mutig, sondern selbstverständlich.“ Wir trafen sie zum Interview.

Warum haben Sie den Neuen Kunstverein Wien als Ort fürs Treffen vorgeschlagen?
Der Neue Kunstverein Wien hat eine wichtige Position im Mapping der diversen Wiener Kunstinstitutionen, die am ehesten mit der Aufgabe und Praxis deutscher Kunstvereine vergleichbar ist: Es handelt sich um einen experimentellen, interdisziplinären Raum, dessen programmatischer Ansatz eine junge lokale Kunstszene mit internationalen bekannten Positionen, wie unlängst Shirin Ne­shat ins Verhältnis setzt. Diese Orte leisten wichtige Pionierarbeit, auch für eine junge Performanceszene, deren Arbeit hier oft das erste Mal gezeigt und sichtbar gemacht wird. Es ist einer der wenigen Orte in Wien, wo auch Live-Performances stattfinden.

Sie kommen aus Klagenfurt und studierten ab 1983 in Wien und Paris Kunstgeschichte. Wie erlebten Sie als junge Frau das Eintauchen in die Wiener Kunstszene?
Carinthischer Sommer, Künstlerhaus, Bachmannpreis: Klagenfurt war für mich sehr prägend. Ich hatte einen Zeichenlehrer, Franz Petschounig-Moro, der einen großartigen Unterricht gemacht hat und für mich sehr wichtig war. An der Sorbonne in Paris habe ich mein Kunstgeschichte-Studium begonnen und in Wien fortgesetzt. Parallel habe ich immer stark die Praxis zum Studium gesucht: Auktionshaus, Galerien, Fremdenführungen beim akademischen Reisedienst. Mein Wissensdurst war stets riesig.

Ihre erste Ausstellung zu Dieter Roth kuratierten Sie gleich in der Albertina.
Ich bin nach Wien gekommen und habe sehr früh begonnen, mein Studium in die Albertina „zu verlegen“. Für mich war das zu diesem Zeitpunkt ein großes Privileg, mit dieser einzigartigen Sammlung arbeiten zu dürfen. Konrad Oberhuber, damaliger Direktor und ein großartiger Euphoriker wie ich, hat mich sehr gefördert. Meine erste Ausstellung ist gleich nach Philadelphia ins Museum eingeladen worden. Ich habe zwei Kinder bekommen, den akademischen Weg eingeschlagen, mich stärker als Kulturwissenschaftlerin entwickelt und habilitiert.

Wie beurteilen Sie gegenwärtig den Kunststandort Wien?
Es passiert in Wien sehr viel Spannendes. Aber: Gerade was die bildende Kunst betrifft, wäre es dringend notwendig, die Szene zu stärken. Die Politik hat diese leider schon lange nicht mehr am Schirm. Bildende Kunst wird von den Verantwortungsträgern meist als Kür bezeichnet, das muss sich ändern. Kunst nimmt eine zentrale Rolle in gesellschaftspolitischen Entwicklungen ein, ein Potenzial, das sichtbar und produktiv gemacht werden muss.

Was wünschen Sie sich?
Ein stärkeres Commitment. Maßnahmen, die auch das Sammeln von Kunst attraktiver machen. Kunstkäufe kann man in Österreich immer noch nicht von der Steuer absetzen, etwas, das in Deutschland selbstverständlich ist. Eine starke Sammler- und Sammlerinnenlandschaft stärkt Szene, Künstlerinnen und Künstler sowie schlussendlich auch Galerien und Museen. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_right Wie könnte man die Szene stärken?
Wien hat eine spannende Off­szene mit vielen Künstlern, Kuratoren, Vermittlern, die qualitätvolle Arbeit leisten. Meist findet diese Arbeit jedoch unter prekären, selbstausbeuterischen Verhältnissen statt und wird nur von einer kleinen Öffentlichkeit wahrgenommen. Da wäre die Stadtpolitik aufgerufen, die Grundlage für produktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Diese Szene leistet enorm viel, auch im Sinne intergenerationeller, interdisziplinärer städtischer Kommunikationsräume. Darüber hinaus ist ein Kunstverein, wie es ihn in Deutschland in vielen Städten gibt, ein längst fälliges Desiderat. Es braucht vielfältige Bühnen für Kunst auf verschiedenen Ebenen und Raum für experimentelle Auseinandersetzung.

Wie denken Sie über die Neubesetzung der Kunsthalle durch ein Frauenkollektiv?
ch denke, die Kunsthalle wird unter der Leitung von WHW neue Energie entwickeln, ich bin schon sehr gespannt. Aus meiner Sicht muss die Kunsthalle in die Stadt und an einen anderen Ort. Ich erinnere mich gerne an die Kunsthalle am Karls­platz von Adolf Krischanitz, das hat sehr gut funktioniert. Ein offener Containerbau, der einer Kunsthalle als beweglichem Ort für Gegenwartskunst sehr gut entsprochen hat. Die Halle von Krischanitz, mittlerweile in Warschau, funktioniert dort großartig. So ein Bau kostet nicht die Welt. Es gäbe in Wien viele Standorte, wo man auch dezentralisieren könnte.

Fällt Ihnen einer ein?
Der Praterstern zum Beispiel, dort hat die Parallel Vienna stattgefunden. Das ist die alternative Kunstmesse zur viennacontemporary, die leer stehende Gebäude bespielt. Da ist eine Woche lang der Teufel los und man sieht das Bedürfnis der Szene, sich auszutauschen. Das wird von der Stadt kaum unterstützt.

Und wenn Sie ein bisschen klassisches Wien schnuppern wollen?
Dann gehe ich immer gerne ins Kunsthistorische Museum: mit der Gegenwart im Kopf. Es ist wirklich eine einzigartige Sammlung, ich besuche auch gerne die Schatzkammer und „Die Alten Meister“, auch wenn die „Alten Meisterinnen“ fast nicht zu finden sind – bis auf die großartige Sofonisba Anguissola, deren Arbeit erst in den 1970ern in der Gemäldegalerie aufgenommen wurde und davor in die Schatzkammer eingegliedert war. Das muss man sich einmal vorstellen.

In Wien leiten viele Frauen Kunst- oder Kulturinstitutionen.
Die Leitungen der Ausstellungshäuser stehen verstärkt unter Quotendruck. Das ist einer der Gründe, warum sie sich letztendlich oft für Mainstream entscheiden müssen. Aber es stimmt, was das gendergerechte Verhältnis im Ausstellungsbereich betrifft, ist ein Anfang gemacht, aber zweifelsfrei ist noch viel zu tun.

Wir bitten um einige Beispiele dafür.
„Die Stadt der Frauen“ im Belvedere war zum Beispiel eine sehr wichtige Ausstellung. Sabine Fellner hat als Kuratorin eine großartige Form gefunden, Ausstellungen gleichermaßen für ein Fachpublikum und eine breite Öffentlichkeit attraktiv zu machen. Um den momentanen Hype an Frauenausstellungen in eine gendergerechte Zukunft zu führen, ist es jedoch essenziell, an monografischen Ausstellungen von Künstlerinnen zu arbeiten. Maria Balshaw, Direktorin der Tate Britain, zeigt mit ihrem Commitment, wie es funktionieren könnte.


Kunst, ganz persönlich: Empfehlungen von Felicitas Thun-Hohenstein

Neuer Kunstverein Wien. Goethegasse 1, 1010 Wien. Katarzyna Uszynska leitet das Laboratorium der freien Kunstszene.
VBKÖ (Verein bildender Künstlerinnen Österreichs). Maysedergasse 2/38, 1010 Wien. Zeitgenössischer Ort, der seit 1910 Pionierarbeit leistet und mittlerweile eine Institution ist. www.vbkoe.org
V.esch. Berggasse 6, Kaltenleutgeben). Wichtiger Off-Space der ersten Stunde. www.vesch.org
Fotoschule Kubelka. Neubaugasse 64-66/1/5a, 1070 Wien. Private Fotoschule, gegründet von Friedl Kubelka. www.schulefriedlkubelka.at
Kunsthalle Exnergasse. WUK, Währingerstraße 59, 1090 Wien. Wichtiger Ausstellungsraum für experimentellen, queerfeministischen Diskurs.
www.wuk.at/kunsthalle-exnergasse
Galerie Sophie Tappeiner. An der Hülben 3, 1010 Wien. 2017 eröffnet, ist die Galerie, die sich auf feministische Positionen bezieht, nicht mehr aus der Szene wegzudenken. www.sophietappeiner.com
brut Wien. Karlsplatz 5, 1010 Wien. Experimentelle Spielstätte für experimentelle Kunst. brut-wien.at
Soho Ottakring. Festival, das jährlich in Wien-Ottakring über die Bühne geht. sohoinottakring.at
Galerie Charim. Dorotheergasse 12, 1010 Wien. Tolle Künstlerinnen und Künstler, Thun-Hohenstein hat hier schon oft selbst kuratiert. www.charimgalerie.at
Galerie Steinek. Eschenbachgasse 4, 1010 Wien. Über 30 Jahre lang ist die Familie im Galerienbusiness. Und: Sie vertritt Renate Bertlmann. www.galerie.steinek.at
Galerie Krinzinger. Seilerstätte 16, 1010 Wien. Ursula Krinzinger ist die Grande Dame der Wiener Galerienszene und macht seit Jahrzehnten ein sehr beeindruckendes Programm. www.galerie-krinzinger.at
Josephinum. Währingerstraße 25, 1090 Wien. 1785 von Joseph II. eröffnet, galt als eine der fortschrittlichsten Medizin-Unis der Welt. Zeigt die Ästhetik des Körpers in den unterschiedlichen Jahrhunderten. www.josephinum.ac.at
Bestattungsmuseum am Zentralfriedhof. Simmeringer Hauptstraße 234, 1110 Wien. Wienerischer geht es kaum. www.bestattungsmuseum.at

Die Gegenwart im Kopf

ZUR PERSON Felicitas Thun-Hohenstein wurde am 15. Jänner 1964 in Klagenfurt geboren. Sie ist Kunsthistorikerin, Professorin an der Akademie der bildenden Künste Wien und die Kuratorin des Österreich-­Pavillons auf der Biennale von Venedig 2019.





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Vom 11. 7. bis 11. 8. ist die internationale Tanz- und Performance­szene in der Stadt. Aufregend gut. www.impulstanz.com

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