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Die Stadt Wien ist ein Dorf

BLICK IN DIE ZUKUNFT. Kann Wien angesichts des Wachstums überhaupt lebenswert bleiben? Stadtforscher Johannes Suitner über die Qualität des Grätzels, die Risiken einer Smart City und warum Wien viel mehr Freiräume vertragen kann. Text: Susanne Rakowitz, Fotos: Kurt Pinter

Die Stadt Wien ist ein Dorf

Reden wir Klartext: Der Zuzug in Städte ist seit Jahren ungebrochen. Jährlich lassen sich rund 40.000 Menschen in Wien nieder. Vor welchen Herausforderungen stehen Stadtentwickler?
Stadtentwicklung muss man sich wie ein riesiges Containerschiff vorstellen: Wenn ich heute nach links lenke, werde ich erst morgen nach links fahren. Aber dann wieder nach rechts umzulenken, das dauert. Das heißt: Alle heutigen Entscheidungen und Investitionen beeinflussen meinen Handlungsspielraum morgen. Wenn ich mich als Stadt entscheiden muss, Autobahnen oder U-Bahnen zu bauen, dann hat das einen großen Einfluss darauf, ob ich mir in zehn Jahren leichter- oder schwererttue, ein ökologisch verträgliches Verkehrssys­tem umzusetzen. Das heißt, einmal gefällte Entscheidungen bestimmen den eingeschlagenen Weg. Den zu verlassen, kann schwierig werden.

Wenn über Stadtentwicklung gesprochen wird, darf der Begriff „Smart City“ nicht fehlen. Wo sind die Chancen und wo die Risiken?
Wenn über Stadtentwicklung gesprochen wird, darf der Begriff „Smart City“ nicht fehlen. Wo sind die Chancen und wo die Risiken? Digitalisierung passiert seit Jahrzehnten Schritt für Schritt. Jetzt merken wir, dass es unseren Alltag ganz stark durchdringt. Der Hoffnung, dass durch Digitalisierung Stadtsys­teme effektiver und effizienter werden sollen, steht eine zweite Seite gegenüber: Schon jetzt belegen Studien, dass der Ressourcenbedarf sehr viel höher wird. Wenn also alles ein Digital Device ist oder braucht, werden wir uns überlegen müssen, ob wir am Ende unsere ökologischen Ziele erreichen können.

Das klingt jetzt ziemlich pessimistisch.
Aus der Sicht der Stadtplanung kann Digitalisierung vieles leisten: Allein, was man damit erreichen kann, wenn es darum geht, in der Planung Entscheidungsprozesse zu demokratisieren. Ob man Befragungen macht, wo jeder am Handy mitstimmen kann, oder die Möglichkeiten der Visualisierung, wie etwa Augmented Reality. Aber in einer Smart City wird es auch zu Nutzungskonflikten kommen

Können Sie ein Beispiel geben?
Digitalisierung bietet die Möglichkeit, Infrastruktursysteme einer Stadt zum Positiven zu verändern. Man darf nur nicht dem Hype verfallen: Juhu, alles kriegt einen Chip und alles wird gut. Das ist es nicht, wenn sich mein Nachbar mitten in der Nacht mit der lauten Drohne Essen liefern lässt. Genauso wird digitale Zukunft auch ganz viele Leute ausschließen. Nämlich jene, die sich das neue Smart Device nicht leisten können. Und wir lernen auch, dass Digitalisierung in vielen Belangen zu einer Monopolisierung von Angeboten führt. Das ist nicht im Interesse des Konsumenten und kann nicht im Interesse einer Stadt sein.

Wie könnte, wie muss man hier entgegenwirken?
Wenn Städte digitalisiert sind, müssen wir sicherstellen, dass alle an dieser Stadt teilhaben können. Ob und wie das passiert, sollten aber nicht einzelne Firmen bestimmen. Die öffentliche Hand muss auch deshalb jetzt umdenken und anders agieren, denn sie wird gefragter denn je sein. Das heißt jetzt nicht, dass sie unternehmerischen Zielen unterliegen muss, aber man muss vielleicht selbst auch neue Angebote entwickeln. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_rightZurück ins Hier und Jetzt: An allen Ecken und Enden wird in Wien gebaut, doch wo blickt Wien städtebaulich in die Zukunft?
Wirklich interessant sind die Projekte, die es schaffen, die lokale Besonderheit hervorzuheben. Ich finde Projekte, wie eben alles, was im zehnten Bezirk hinter dem neuen Hauptbahnhof an Stadt­ent­wick­lung passiert, spannend. Da schaut man zunächst auf das Bahnhofsprojekt, das architektonisch aufregend ist. Noch spannender ist die Stadtentwicklung im zweiten Schritt dahinter im Sonnwendviertel. Dort passiert im großen Stil Stadtentwicklung in einem traditionellen Arbeiterbezirk, in einem irrsinnig dichten Stadtteil. Auch einen Blick wert ist der Nordbahnhof. Kollegen von mir an der TU versuchen dort, mit Labs Diskursraum zu schaffen.

In Europa gibt es einige architektonische Aushängeschilder – wie etwa die Zentralbibliothek von Helsinki – die bewusst als Begegnungsorte für Menschen konzipiert wurden. Was könnte Wien sich da abschauen?
Das war auch eine Conclusio meiner Analysen: Egal, ob es um den Masterplan für die Seestadt Aspern geht oder die Umgestaltung vom Karlsplatz, große Projekte sind in Wien oft vollständig determiniert. Heißt, dass schon der letzte Ziegelstein geplant ist. Das ist etwas, was sich aus der Tradition erklärt: Es fällt vielen schwer, denn man soll den Bürgern ein fertiges, sofort verwendbares Produkt anbieten. Das ist ein Lernprozess: Wien sollte sich trauen, noch viel mehr von solchen nutzungsoffenen Räumen bereitzustellen und öffentliche Plätze in der Stadt auch einmal undefiniert zu lassen. So etwas finde ich extrem reizvoll und wichtig.

Welche Stadtentwicklung in Wien begeistert Sie persönlich?
Ich bin ein Riesenfan der Donauinsel, jetzt noch mehr, wo ich durch meine Forschungen die Entstehungsgeschichte kenne. Hier sieht man, wie aus einem technischen Projekt eine soziale Innovation für Wien geworden ist. Wie aus einem Schutzbau ein Freizeitprojekt für die Bevölkerung gemacht wurde. Und ich finde, es ist immer noch ein toller Ort, wo noch viel geht. Es lässt viel zu, weil es einer jener Orte ist, die nicht bis zuletzt durchdekliniert und determiniert sind.

In welchen Klischees über Wien steckt mehr Wahrheit, als man denkt?
Mir gefällt der Spruch: Wien ist ein Dorf. Ich finde, das stimmt, wenn man die Stadtstruktur anschaut: Viel ist immer noch fußläufig erreichbar. Das ist schon noch eine Qualität im Gegensatz zu Berlin, wo man kaum noch was „derhatscht“. Das andere sind die Grätzel, die Nachbarschaften. Das ist auch ein Gefühl, das viele Leute haben, dass es, obwohl Wien eine Großstadt ist, noch lokale Gemeinschaft und Nachbarschaft gibt. Man kennt die Leute, die man auf der Straße trifft. Man steigt in der Früh mit den gleichen Leuten in den Bus ein. Man trifft die gleichen Leute im Supermarkt. Das ist auch eine Riesenqualität dieser Stadt.

Wie nähert man sich als Neuankömmling dieser Stadt? Gibt es eine Art Gebrauchsanweisung vom Profi?
Ich würde mir wünschen, dass die Leute vielleicht in Wien-Mitte oder in Floridsdorf aus der S-Bahn aussteigen und schauen, wo es sie hinführt. Was ich an Städten so spannend finde, sind nicht die zehn Highlights, sondern die echten Lebenswelten. Eine Stadt verstehe ich erst, wenn ich sehe, wie dort der Alltag läuft. Vielleicht wäre das die Anleitung: Geht in ein Kaffeehaus, aber nicht auf der Ringstraße und nicht im ersten Bezirk, geht’s vielleicht ins Café Defizit oder ins Café Jenseits und danach auf die Donauinsel. Das fände ich irgendwie aufregender.

ZUR PERSON ist Stadtforscher am Department für Raumplanung der TU Wien, wo er zu Planungs­geschichte und Planungskulturen, kultureller Planung und Stadtentwicklungspolitik lehrt und forscht.

Die Stadt Wien ist ein Dorf

In einer Smart City wird es auch zu Nutzungskonflikten kommen.

Johannes Suitner
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