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Aus der Ferne entsteht eine Faszination: Für die Sprache. Den Charme. Die Musik.

AUSSENANSICHT: Immer mehr ­junge Menschen ziehen nach Wien. Paul Pirker (20) und Lara ­Sienczak (25) erklären, warum. Text: Julian Melichar, Fotos: Kurt Pinter

Aus der Ferne entsteht eine Faszination: Für die Sprache. Den Charme. Die Musik.

LARA SIENCZAK. 25 Jahre, studiert seit rund drei Jahren in Wien. Aus Wuppertal. Derzeit spielt sie am Schauspielhaus Graz (Sibylle Berg, „Menschen mit Problemen, Teile I bis III“).

Eine kritische Annäherung aus zwei Blickwinkeln: Wien als lebenswerter Sehnsuchtsort, immer mehr junge Menschen zieht die Stadt magisch in ihren Bann. Künstler, Studenten, Musiker – die Möglichkeiten, die diese Stadt bietet, sind zu verlockend, als dass man nicht einen Versuch wagen würde. Wir haben zwei junge „Zuagraste“ getroffen: Student Paul Pirker (20) und Schauspielerin Lara Sienczak (25). In zwei Interviews erzählen sie, warum sie hier gelandet sind – samt kritischen Anmerkungen.

Sie studieren als Deutsche seit drei Jahren in Österreich. Genauer gesagt, in Wien an der MUK, also der Musik- und Kunstuniversität. Gibt es in Deutschland nicht genügend Städte zu entdecken?
LARA SIENCZAK: Nach Wien hat es mich durch Zufall verschlagen. Nachdem ich mein Alibistudium in Düsseldorf an den Nagel gehängt habe, wollte ich Schauspiel studieren. Wo ich studiere, war mir eigentlich egal. Über zwei Jahre sprach ich an verschiedensten Unis Monologe vor. In Wien wurde ich aufgenommen.

Wie wirkt Wien auf eine gebürtige Wuppertalerin?
Zunächst einmal beeindruckend. Sehr sauber. Pompös und geschichtsträchtig. Auf dem Weg zur Universität fahre ich jeden Tag an der Hofburg vorbei. Als ich zum ersten Mal die beleuchteten Statuen und Fassaden sah, standen mir die Tränen in den Augen.

Gab es für Sie rückblickend Momente, an denen Sie sich als junge Studentin im „alten Wien“ fehl am Platz fühlten?
Ja, schon auch. Die Gemütlichkeit und Gemächlichkeit waren völlig neu für mich. Die Geschäfte hatten nicht bis 22 Uhr am Abend geöffnet. Der Sonntag fühlte sich wie ein Ruhetag und nicht wie jeder andere Wochentag an. Wenn man am Donnerstag feiern geht, kommt man nicht gerade unkompliziert nach Hause, da die U-Bahn nur am Wochenende bis spät in die Nacht fährt.

Die Überraschung schlechthin: Euer Kaffee ist gar nicht so gut. Aber dafür erfüllen die Kellner in den traditionellen Kaffeehäusern das Klischee des grantigen Wieners. Ist das Absicht?
Ja, manchmal wird sogar behauptet, dass sie dafür bezahlt werden, um das Klischee zu bedienen. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_rightAndere Frage: Gibt es aus Ihrer Sicht Gründe, dass Wien sowohl innerhalb von Österreich als auch für ausländische Studierende so attraktiv wie noch nie ist?
Ich glaube, da gibt es viele verschiedene Beweggründe. Aus der Ferne entsteht allgemein eine gewisse Faszination. Das kenn ich von meinen Freunden in Deutschland, vor allem für das Wienerische. Für die Sprache. Den Charme. Die Musik.

Und in Wien weiß man um diese Ästhetik und Attraktivität auch Bescheid, lebt das auch aus. Ist der Wiener ein Schauspieler, wie Sie es sind?
Ja. Auf jeden Fall. Aber die Nostalgie und das Spiel mit der morbiden Wiener Ästhetik eines Falco zum Beispiel hat heute eine gewisse Ironie.

Was macht Wien für die junge, diskursive Szene attraktiv?
Kultur wird in Wien höher geschätzt. Die Theaterlandschaft ist krass. Wenn ich bei mir zu Hause erzähle, dass ich als Schauspielerin mein Brot verdiene, fragt man mich: „Brauchst du Unterstützung? Hast du überhaupt Geld?“ Hier ist das Bewusstsein ein anderes.

Wenn die Stadt Wien ein Mensch wäre, wie alt wäre er?
Überlegt.) Dann wäre er vermutlich ein 30-Jähriger im Körper eines 100-Jährigen. Inklusive Schönheits-OPs, versteht sich.

Und welches Stück führt die Stadt auf? Eine Tragödie? Eine Komödie?
Eine Komödie. Mit Depressionen dahinter.

"Dann merkt man, dass man hier richtig ist"

Aus der Ferne entsteht eine Faszination: Für die Sprache. Den Charme. Die Musik.

PAUL PIRKER. 20 Jahre alt, seit ­September 2018 in Wien. Gebürtiger Grazer. Ehemaliger Sängerknabe. Singt im Konzerthaus und ist Frontman der ­Indie-Band Love A.M.

Sie sind in Graz geboren und aufgewachsen. Wien lernen Sie derzeit erst richtig kennen. Was ist Ihre erste Erinnerung an die österreichische Hauptstadt?
PAUL PIRKER: Ich muss da eigentlich sofort an Zigarettenstummeln und U-Bahn-Fahren denken. Die Eindrücke stammen aus meiner Kindheit, als ich des Öfteren zu Besuch bei meiner Tante in Wien, im 16. Bezirk war. Mir ist die Stadt damals wesentlich dreckiger als Graz vorgekommen.

Sie studieren ab dem Herbstsemester Spanisch und Geschichte in Wien. Gibt es diese Studiengänge in Graz nicht auch?
Doch, doch. Das schon. Ich möchte die Frage mit STS beantworten. „In der Zeitung da ham s’ gschriebn, da gibt’s a Szene, do muasst hin.“ Nein, Spaß beiseite. Mir wurde meine Heimat zu klein und wohlvertraut. Außerdem bietet Wien für junge Musiker und Kunstschaffende mehr Möglichkeiten.

Viele junge Menschen wollen raus aus dem Vertrauten. Kann man sich überhaupt noch selbst finden, wenn der Großteil der Generation Y und Z sein Glück an einem einzigen Platz sucht?
Natürlich ist das schwierig. Speziell zu Beginn. Die ersten Wochen und Monate waren alles andere als lustig für mich. Mit meinem Mitbewohner bin ich nicht gut ausgekommen, die „richtigen“ Wiener vereinfachen den Integrationsprozess ebenfalls nicht. Aber das liegt nicht an der Stadt. Sondern eher am Österreicher generell. keyboard_arrow_right

keyboard_arrow_right Kann man sich das wie in einem klassischen, fast morbiden Wiener Beisl vorstellen? Wenn man da als Unbekannter eintritt, wird man zwar nicht verjagt, aber durchaus kritisch begutachtet?
Mit dem Unterschied, dass Wien so groß ist, dass du nicht jedes Mal ins gleiche Beisl und Lokal gehen musst. In Wien kann man entdecken. Mir persönlich ist die Kulinarik zum Beispiel sehr wichtig. Wenn ich Lust auf asiatische Küche hab, fahr ich in den Sechsten. Trotz der Vielfalt ist Wien dennoch keine Multikulti-Stadt für mich. Man lebt nebeneinander. Schon auch miteinander, aber zu viel vermischen will man sich auch nicht.

Zum Thema Mischung – aber nicht die Häupl-Mischung: Die Mischung zwischen Jung-Wien und jungem Wien, imperialem Erbe und moderner Szene. Erleben Sie das als spannenden Cocktail oder als organisierte Parallelwelt? Ist das donaumonarchische Wien überhaupt noch existent?
Ja. Das alte Wien gibt es wirklich. Nicht nur für Touristen als Inszenierung. Wie authentisch diese Tradition bis heute gepflegt wird, merke ich als Chorsänger im Wiener Konzerthaus immer wieder. Und: ob Theater oder bildende Kunst, für Jung und Alt. Oder Veranstaltungen für Ö-1-Mitglieder. Das Angebot ist groß. Und wird angenommen. Wenn sich in den warmen Frühlings- und Sommermonaten dann Studenten und Junggebliebene am Donaukanal treffen und treiben lassen, merkt man, dass man hier richtig ist.

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