Ja, es geht um Florestan, der gewagt hat, den Mund aufzumachen, und nun widerrechtlich in einem spanischen Kerkerloch dahinvegetiert. Aber in diesem „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven geht es auch um andere Gefangene – Gefangene ihres Schicksals.

Um Jemshed und Anita zum Beispiel, die sich aus den Fesseln der Zwangsheirat in Afghanistan befreiten und samt Kind auf ihren langen Irrfahrten in Leibnitz gestrandet sind.

Um Tafa aus Gambia, der in einem Foltergefängnis saß und nun in Gleisdorf auf den Ausgang seines Verfahrens wartet.

Um Alaa aus Syrien, die mit ihrer Familie bei der Überfahrt auf einem überfüllten Flüchtlingsboot knapp vor dem Strand fast ertrunken wäre und nun in Gleisdorf eine HTL besucht.

In eingestreuten Videos erzählen insgesamt sieben Asylanten von ihren Odysseen und bauen wie diese Befreiungsoper auf das Prinzip Hoffnung. Dramaturg Thomas Höft hat die halbszenischen Aufführungen am Freitag und Samstag auch als Erzähler klug zu einem politischen Statement erweitert: Tyrannei, Korruption, Willkür, Unrecht ... das alles ist nicht Geschichte, es ist eine ewige Geschichte, und dennoch soll, muss man an Veränderungen glauben. So, wie die 17-jährige Alaa über ihre neue Umgebung sagt: „Wenn es solche Menschen gibt wie hier, wird irgendwas besser“.

Alle Menschen werden Brüder? Schwestern? Eine Utopie, nicht nur in Beethovens „Neunter“. Aber Lilli Hartmanns Ausstattung deutete diese mögliche Gleichheit zumindest an. Alle Solisten trugen Kostüme aus Jeansstoff, die Choristen aus Grazer Ensembles und aus 14 Nationen (Einstudierung: Franz M. Herzog) und die Instrumentalisten kamen in Denim, und selbst Andrés Orozco-Estrada dirigierte in Jeansjacke statt im Frack.

Johannes Chum als Florestan und Johanna Winkel als Leonore
Johannes Chum als Florestan und Johanna Winkel als Leonore © Photowerk/Werner Kmetitsch


Am Pult des hellwachen styriarte-Festivalorchesters zeigte der Kolumbianer schon in der Ouvertüre seinen Zugang zur Nummernoper: frisch, zupackend, das Aufwühlende und Lyrische fein austarierend. Der fehlende Graben in der List-Halle machte es den Sängern nicht leicht. Mühelos konnte sich nur Jochen Kupfer als fieser Don Pizarro mit dem Dynamit seines Baritons durchsetzen. Jan Petryka als vergebliche buhlender Pförtner Joaquino, Tetiana Miyus als seine naive Angebetete Marzelline und Thomas Stimmel als Kerkermeister Rocco mit der Rechten in der Armschlinge waren schon edle Besetzungen, die Adrian Eröd als spät auftretender Minister Don Fernando mit Grandezza ergänzte.

Johannes Chum gab beim „Heimspiel“ den gebrochenen Florestan mit nuanciertem Tenor. Johanna Winkel, für Dorothea Röschmann eingesprungen, sang die Leonore, die als Fidelio in Männerkleidung ihren Gatten aus dem Kerker befreit und vor dem Dolch des intriganten Pizarro schützt, die deutsche Sopranistin stand sich mit ihrer stocksteifen Darstellung aber selbst im Weg. Eine Prise mehr Regie hätte nicht geschadet, schon gar wider das Rampensingen, als sich die Liebenden mit eher „untergroßer Lust“ endlich wiedererkennen.

In Summe aber eine richtige und wichtige Produktion der styriarte. Für das Ensemble und einige der interviewten Asylanten gab es viel Applaus vom berührten Publikum, darunter die Salzburger Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler und Roland Geyer, Intendant des Theaters an der Wien.

Post scriptum: Ein paar Zuschauer verließen im 1. Akt lautstark den Saal. Und bei der styriarte liefen schon Beschwerdemails ein: Man hätte eine deutsche Oper sehen wollen und keine Flüchtlinge und fordere das Eintrittsgeld zurück...
Es gibt noch viel zu tun.