Diese Geschichte ist in ihrer Grausamkeit so perfide wie unglaublich: Als die 85-jährige jüdische Französin Mireille Knoll, Überlebende des Holocausts und weltoffene Kosmopolitin, in ihrer Pariser Wohnung durch elf Messerstiche von einem islamistischen Täter 2018 ermordet wird, ist Frankreich geschockt. Mit „Unsere Mutter. Die Jüdin, die nicht hassen wollte“ liegen nun die Erinnerungen ihrer beiden Söhne auch in Deutsch vor.
Sie sind nicht nur ein liebevolles Porträt dieser Mutter, sondern auch ein aufrüttelndes Gesellschaftsporträt, das sich heute – geschrieben noch vor den Ereignissen des 7. Oktober in Israel – besonders bedrohlich liest: „Wenn es irgendeine Gemeinsamkeit zwischen allen Mördern gibt, dann die Tatsache, dass sie alle vollkommen ungebildet sind. Sie kennen nicht einmal die elementaren Regeln des Zusammenlebens in einer Gesellschaft. Sie haben nichts in der Schule gelernt, und man hat nichts gegen diese Tatsache unternommen.“ Es war ein Nachbarskind, das Mireille Knoll von klein auf kannte, dem sie Süßigkeiten zugesteckt und stets freundlich die Türe geöffnet hatte, das als junger Mann mit „Allahu akbar!“-Geschrei ihr Leben beendete.
Voll Lebenshunger und Freundlichkeit schildern die Autoren ihre Mutter, zeichnen das Bild einer alten Dame, die mit ihren muslimischen Nachbarn das Fastenbrechen ebenso feierte wie mit ihren christlichen Weihnachten. Die gerne reiste, sich mit 75 Jahren noch einmal heftig verliebte und die Frauen ihrer Söhne stets mit offenen Armen aufnahm. Über die Shoah und den Krieg wurde nicht viel geredet. Dass ihr Mörder sie nicht nur erstach, sondern auch noch Feuer in ihrer Wohnung legte, um sie zu verbrennen „ganz wie in den Konzentrationslagern, denen sie nur knapp entkommen ist“, macht diesen antisemitischen Akt doppelt bitter. Er ist kein Einzelfall, wie die deutsche Journalistin Michaela Wiegel in ihrem
Nachwort belegt, das eine ganze Serie von antisemitischen Übergriffen in Frankreich aufzählt. Und das die Politik mahnt, „der weiteren Verrohung der Gesellschaft beständig entgegenzuwirken“.
Allan Knoll, Daniel Knoll. Unsere Mutter. Die Jüdin, die nicht hassen wollte. Aus dem Französischen von Isolde Schmitt. Zsolnay. 220 Seiten, 24,70 Euro.
Karin Waldner-Petutschnig