In wenigen Tagen endet der steirische herbst, zum ersten Mal haben Sie ihn ganz nach Ihren Vorstellungen programmieren können. Was ist aus Ihrer Sicht gut gelaufen, was weniger gut?

EKATERINA DEGOT: Schon der letzte steirische herbst war ganz nach meinen Vorstellungen programmiert, auch wenn es aufgrund der extrem kurzen Vorbereitungszeit eine Prolog-Edition war. An mich ist bei meiner Berufung ein klarer Auftrag gestellt worden, und den versuche ich konsequent zu erfüllen: neue Auftragswerke entwickeln, neue Künstlerinnen und Künstler nach Graz bringen, den herbst international zu öffnen und in die internationale Aufmerksamkeit zu bringen. Extrem froh bin ich über das Parcours-Prinzip, das uns erlaubt, mit wechselnden Institutionen vor Ort starke, inhaltliche Kooperationen zu entwickeln. Dass einzelne Projekte gut und andere schlechter aufgenommen werden, ist das Wesen eines fast ausschließlich neu-produzierenden Festivals. Das kann auch mal riskant oder weniger gut sein. Dieser Spielraum kann einer Plattform für zeitgenössische Kunst aber auch zugestanden werden.

Eine kritische Zwischenbilanz in der Kleinen Zeitung, die dem herbst zu wenig Festivalcharakter attestierte, hat in der Kulturszene einige Diskussionen ausgelöst. Was sagen Sie zu der Feststellung, dem herbst habe diesmal ein atmosphärisches Zentrum gefehlt?

EKATERINA DEGOT: Durch den Parcours haben wir mannigfaltige Möglichkeiten des Dialogs geöffnet — Dialog mit dem Besucher, aber auch der Besucherinnen untereinander. Unser Vermittlungsprogramm, das wir das Büro der Offenen Fragen nennen, ist hier so ein atmosphärisches Zentrum und erfreut sich großer Beliebtheit. Das Vermittlungsteam ist komplett ausgebucht und kann seit letzter Woche keine zusätzlichen Führungs- oder Workshop-Anfragen mehr annehmen. Aber auch die sehr gut gefüllte herbstkantine am Kaiser-Josef-Platz, wo wichtige Diskussionen geführt werden, ist so ein Ort. Es gibt viele atmosphärische Leuchttürme, der Parcours selbst ist das Zentrum. Wir ziehen es vor, Orte nicht einzelnen Funktionen zuzuordnen.

Macht man es den Gegnern des Festivals nicht zu leicht, wenn man nicht verstärkt nach Möglichkeiten sucht, die Öffentlichkeit anzusprechen und für sich zu interessieren?

EKATERINA DEGOT: Gegner ist ein starkes Wort. Mich würde interessieren, wer diese Gegner konkret sind. Das Programm des steirischen herbst kann und muss Angebote machen, an die Öffentlichkeit, an die teilnehmenden Kunstschaffenden, sich auseinanderzusetzen. Die Besucherinnen und Besucher, Medien und die lokalen Szenen müssen ihren Teil aber auch beitragen, und die Angebote annehmen, darüber berichten, sie öffnen, und für sich nutzbar machen. Es ist ein Tanz, den man nicht allein tanzen kann.

Ihr Programm wurde, zumindest im Vorjahr, international gut wahrgenommen. Gibt es Pläne, um die Präsenz des Festivals in Graz und in der Steiermark noch zu steigern?

EKATERINA DEGOT: Wir können dieses Jahr sogar noch eine Steigerung in der internationalen Wahrnehmung - sowohl in der Presse als auch bei den Besuchern, dieses Jahr zum Beispiel mit verstärkten Vermittlungsaktivitäten in Slowenien - verzeichnen, was natürlich sehr erfreulich ist und eine Bestätigung, dass es uns gelingt, das Festival in sehr vielen verschiedenen internationalen Kontexten verständlich zu kommunizieren. Unsere Recherchen und Inhalte kommen immer aus Graz und der Steiermark, die Themen, die wir diskutieren sind von lokaler - und globaler - Relevanz. In der Tat ist eine weitere Durchsetzung der Steiermark etwas, an dem wir aktiv arbeiten.

Bei unseren Besuchen wirkten viele der Ausstellungsräume kaum frequentiert. Ist das Konzept eines über die Stadt verteilten Kunstparcours' gelungen? Werden Sie daran festhalten?

EKATERINA DEGOT: Wir erleben auf vielen Ebenen ein großes Publikumsinteresse, allerdings: Ein Ausstellungsraum ist keine Performance, wo alle Besucher zum gleichen Zeitpunkt an einem Ort sind — es gibt ein anderes Besuchsverhalten über den Tag und den Festivalzeitraum verteilt. Das Programm zu dezentralisieren und über die Stadt und die Steiermark zu verteilen ist fruchtbar, und wir werden grundsätzlich daran festhalten, auch wenn nichts in Stein gemeißelt ist. Die Künstlerinnen und Künstler geben die Richtung vor und diese ist immer inhaltlich begründet.

Sehen Sie Veränderungsbedarf in Bezug auf die Schwerpunktsetzung des Festivals?

EKATERINA DEGOT: Nein. Seit der Gründung ist der steirische herbst in seinem Wesen multi-disziplinär, dieser Gedanke ist Ausgangpunkt meiner Arbeit und wird auch weiterhin der wesentliche Schwerpunkt sein.

Werden Sie am aktuellen Prinzip von kuratiertem Programm und Parallelprogramm festhalten?

EKATERINA DEGOT: Bei den Projekten für das Publikum deutlich zu machen, wer sie entwickelt hat und wer für sie verantwortlich ist, ist für mich eine Frage des Respekts für die Arbeit meiner Kolleginnen und Kollegen vor Ort. Es steht mir nicht zu, ihre Arbeit zu vereinnahmen und damit ihre Autorschaft zu nivellieren. Genauso muss ich die Verantwortung für das Programm übernehmen, das ich und mein Team entwickeln. Ein Thema zu verhängen, an dem sich die eingeladenen Institutionen abarbeiten müssen, erinnert mich an die Schule.

Es gab und gibt nach unseren Informationen atmosphärische Verstimmungen bei lokalen Partnern. Werden Sie versuchen, die lokale Szene künftig stärker einzubinden oder muss man zu gewissen Institutionen klare Trennlinien ziehen?

EKATERINA DEGOT: Ich habe bei meinem Antritt eine Festivalstruktur aufgebrochen und verändert, die über mehr als 10 Jahre Bestand hatte, das wurde auch ausgesprochen so von mir erwartet. Dass nicht jeder davon begeistert ist, ist klar. Wir haben aber künstlerisch und kuratorisch einen sehr fruchtbaren Austausch mit Organisationen, die neu im Festival sind und mit solchen, die zu den traditionellen Partnern zählen. Und natürlich bemühen wir uns, auch mit den Kritikern im Dialog zu bleiben. Man braucht schon eine Zeit, um zu verstehen, wie Graz tickt. Es wird jedoch nie darum gehen, kategorisch Trennlinien zu ziehen, sondern nach Möglichkeiten des Austauschs zu suchen.

Der herbst verfügt aktuell über ein Budget von 4,2 Millionen Euro. Wieviel davon geht in das Programm?

EKATERINA DEGOT: Jeder einzelne Cent. Wohin auch sonst?

Stimmt es, dass der Personalstand des Festivals gegenüber der Ära Kaup-Hasler gestiegen ist?

EKATERINA DEGOT: Nein. Aber ich sage Ihnen sehr direkt und deutlich, dass wir noch zu wenig Personal haben, und das Festival nur möglich ist – ein Festival von dem Sie sagen, es sei noch zu schmal – weil sich im Team über die Maßen engagiert wird. Wenn man ein Festival will, das neue Formate und Arbeiten selbst produziert, dann ist das eine extrem personal- und zeitintensive Arbeitsweise, und zwar das ganze Jahr über.

Bedauern Sie, dass der herbst im Programm des Kulturjahrs 2020 in Graz keine Rolle spielt?


EKATERINA DEGOT: Wir haben das Thema des Calls 2020 nach unserem Verständnis interpretiert. Wenn ich mir die Auswahl und Schwerpunktsetzung des Kulturjahres anschaue, dann ist es für mich nachvollziehbar, dass die von uns vorgeschlagenen Projekte hier nicht in die gleiche Richtung gehen. Die Verantwortlichen des Kulturjahres möchten aber unbedingt, dass der steirische herbst auf andere Weise eine Rolle spielt. Wie genau, darüber sprechen wir noch.

In welche Richtung gehen Sie mit dem Programm 2020? Der inhaltliche Rahmen, den Sie mit "Grand Hotel Abyss" gesetzt haben, würde in in allerletzter Konsequenz insinuieren, dass Kunst kein Potenzial zur Gesellschaftsveränderung hätte. Warum soll man dennoch mit der Kunst weitermachen?

EKATERINA DEGOT: Das ist eine eigenwillige These. Ich vermisse bei der Auslegung des Themas auch den Humor. Ob man mit Kunst überhaupt weitermachen sollte, auch wenn sie keine messbaren "Ergebnisse" bringt, ist eine Fragestellung, die den Populisten in die Hände spielt. Ich denke, dass wir die Diskussion anders führen müssen, und uns von diesen leistungsbasierten Kategorien befreien müssen.

Auf Wunsch von Ekaterina Degot wude das Interview schriftlich geführt.