Schräge Jodeltöne empfangen die Besucher in der Grazer Helmut-List-Halle. Sie stimmen auf Irina Korinas raumgreifende Installation „Schnee von Gestern“ ein, für die die Moskauer Künstlerin riesige Aufblasskulpturen im Raum platzierte. Birken, Schnee, eine seltsame Pyramide, ein Gewässer stellen diese luftbetriebenen Objekte dar. Sie erinnern an Vergnügungsparks und Einkaufszentren, an Hupfburgen und lustig tanzende Aufblasmännchen, jene tristen Symbole unserer kapitalistischen Freizeit-Pseudoparadiese. Korina überführt Elemente der „Heimat“, die man häufig mit der jeweiligen Natur in Verbindung bringt („unsere Berge“, „unsere Flüsse“) in ein Setting von extremer Künstlichkeit.

„Schnee von Gestern“ ist eine der zahlreichen Arbeiten innerhalb des Ausstellungsparcours „Volksfronten“, den Intendantin und Kuratorin Ekaterina Degot ins Zentrum ihres ersten Festivals gesetzt hat. Für Degot ist es von Bedeutung, die Werke nicht isoliert zu betrachten, sondern immer ihre diversen Kontexte auch innerhalb der Schau mitzuberücksichtigen.

Irina Korina: „Schnee von Gestern“ in der Helmut-List-Halle
Irina Korina: „Schnee von Gestern“ in der Helmut-List-Halle © sth/Liz Eve

Wobei das Zusammendenken von Dingen überhaupt die Lieblingsdisziplin Degots zu sein scheint. In einer neoliberalen Welt, die Slogans wie „celebrate diversity“ hervorbringt, geht es der Intendantin in „Volksfronten“ gerade darum, nicht die individuellen Unterschiede zu feiern, sondern auf Gemeinsamkeiten hinzuweisen. Soziale und politische Gegensätze, nicht im Grunde marginale ethnische, geschlechtliche oder religiöse Gegensätze würden die Menschheit auseinanderdividieren. Mit dem Ziel, Gemeinschaften zu verhindern, die politisch handlungsfähig werden.

Eine ziemlich bizarre Form der Handlungsfähigkeit könnte man sich von Pflanzen abschauen. Das suggeriert zumindest das Künstlerduo Igor & Ivan Buharov (ein Nom de Guerre der Ungarn Kornél Szilágyi und Nándor Hevesi) im Volkshaus. Dass Pflanzen das beste Kommunikationsnetzwerk der Welt hätten, wird in einer ruhig poetischen, etwas unheimlichen Installation weisgemacht, in der sonst allerhand analoge Technologie herumsteht. Degot: „Fantasie, Erfindungskraft sind politische Instrumente.“

Henrike Naumann: „Anschluss 90“
Henrike Naumann: „Anschluss 90“ © sth/Völzke

Knietief in den Neunzigern watet Henrike Naumann im Haus der Architektur beim Kunsthaus. Die noch zur DDR-Zeit in Zwickau geborene Künstlerin hat einen Raum mit Möbeln in den Neunzigern eingerichtet. Spitze Formen, der Materialmix aus Holz, Glas und Metall zeigen in der Installation „Anschluss 90“, was damals modern war. Für Naumann sind Möbel ein Spiegel der Gesellschaft. Ein Umstand, den man bei Einrichtungsgegenständen aus den vorigen Jahrhunderten widerstandslos akzeptieren würde und den Naumann geistesgegenwärtig als Analyseinstrument für die jüngste Zeitgeschichte verwendet. Dass die einst allzu vertrauten Formen heute wie eine Folterkammer des schlechten Geschmacks anmuten, ist, folgt man Naumanns Deutung, mehr als ein bloß modisches Symptom.

Gut zwei Dutzend weitere Stationen neben den drei erwähnten machen „Volksfronten“ aus, im öffentlichen Raum wie im Kulturzentrum Minoriten, im Forum Stadtpark wie in der Griesgasse. Darüber wird noch zu berichten sein.