Seit Frühjahr haben Sie einen „Macbeth“ fertig, jetzt verschieben Sie ihn zum zweiten Mal – auf nächste Saison. Wie oft haben Sie den Spielplan bereits umgestellt?
IRIS LAUFENBERG: Ich zähle gar nicht mehr mit. Wir stellen vor allem die Termine um. Da wir die getroffenen Verabredungen und Verträge erfüllen möchten, schiebt sich jetzt vieles in die nächste Saison.

Warum trifft’s den „Macbeth“ jetzt zum zweiten Mal?
LAUFENBERG: Der hat ein recht großes Bühnenbild, ihm wäre die Bühne fürs Repertoire blockiert, falls wir demnächst spielen dürfen. Und wir haben ja mehrere fertig geprobte Stücke, die nur noch auf die Premiere warten.

Sind Sie zuversichtlich, dass sich alles noch in dieser Saison unterbringen lässt?
LAUFENBERG: Zuversichtlich sein hieße, man hofft auf Verlässliches. Deswegen planen wir derzeit keine Vorstellungen auf unseren Bühnen. Wir schauen, was möglich wird, wenn es so weit ist.

Das klingt relativ verzweifelt.
LAUFENBERG: Es macht ja keinen Sinn zu planen, wenn man immer wieder die Erwartungen des Publikums, der MitarbeiterInnen und KünstlerInnen enttäuscht. Aber es wird den Punkt geben, an dem ich sage: Das versuchen wir jetzt. Mehr Sorgen macht mir, dass uns die Debattenkultur und die Reflexionsräume abhandenkommen. Die Distanz, mit der wir leben, hat auch in einen schmalen Austausch geführt. In den Nachrichten erfährt man nichts mehr außer Zahlen. Man hat wenig Kontakt, der in die Tiefe geht. Das ist ein Zustand, der keiner Gesellschaft guttut, einer demokratischen schon gar nicht. Die lebt ja davon, dass es verschiedene Perspektiven und Meinungen gibt. Gerade dadurch kommt man auf Standpunkte, die man noch nicht hatte.

Wie erklären Sie diese Verengung auf gewisse Themen und die schmale intellektuelle Auseinandersetzung mit aktuellen Fragen?
LAUFENBERG: Den Leuten kriecht die Angst in die Glieder. Das führt zu einer Starre, und das macht geistig nicht auf. Aber das ist nicht überall so. In Spanien haben sich SchauspielerInnen halb nackt an Zäune gekettet, um auf ihre Lage aufmerksam zu machen, da wird jetzt wieder Theater gespielt. Man hat die Sicherheitskonzepte geprüft und sogar den Lockdown gelockert, damit das abends stattfinden kann – mit dem Argument, dass es die Situation sogar entzerrt, wenn man dann ins Theater geht, wenn alle anderen zu Hause sind.

Es liegt aber nicht allein an unseren Jänner-Temperaturen, dass sich bei uns niemand halb nackt wo ankettet, um seine Lage zu verbessern, oder?
LAUFENBERG: Das muss man annehmen. Die Corona-Situation besteht seit fast einem Jahr, und wir müssen dieser Eindimensionalität unseres Seins etwas entgegensetzen. Mit utopischen Bildern. Wir arbeiten derzeit etwa an einem Stück, das wir als Virtual-Reality-Projekt umsetzen wollen, „Krasnojarsk“ von Johan Harstad. Darin begegnen sich zwei Menschen in einer dystopischen, leeren Welt und wegen eines Koffers voller Geschichten verlieben sie sich ineinander und beginnen wieder zu leben und eine Zukunft zu sehen. Es geht also darum, wie wichtig Dramatik und Literatur sind. Wir dürfen nicht vergessen, wie sehr wir Geschichten brauchen.

Sie glauben, solche Geschichten und Bilder könnten uns aus der Coronastarre holen?
LAUFENBERG: Ja, wenn ich das wüsste. Wir spüren derzeit jedenfalls stärker als zuvor die Verbundenheit des Publikums zum Haus und zu den SchauspielerInnen. Ich bin gespannt, ob sich das durch die VR-Brillen, die wir mit „Krasnojarsk“ den Leuten ab Mitte Februar ins Haus bringen wollen, noch verstärkt. Weil man das Stück in VR emotional anders erlebt als auf einem normalen Bildschirm. Das Wichtigste daran ist es, mit dem Publikum wieder in den Dialog zu kommen. Wir bieten unseren AbonnentInnen auch Nachgespräche zu unseren Online-Projekten an, um herauszufinden, ob es Gesprächsbedarf gibt.

Man muss nicht zwanghaft jede Krise als Chance betrachten, aber wenn Sie das so schildern: Was sind denn die positiven Effekte der aktuellen Lage?
LAUFENBERG: Ich war noch nie so international vernetzt.  Wir haben mit der European Theatre Convention ETC ein dreitägiges European Theatre Forum veranstaltet, machen Konferenzen über Nachhaltigkeit  und wollen zehn Gebote zur Umsetzung für Theater entwickeln. Es gibt in der österreichischen IntendantInnengruppe einen viel intensiveren Austausch und die Konkurrenz ist ganz außen vor. Aber es gibt auch Mentoringprojekte, ein Frauennetzwerk der Theater, da entstehen Perspektiven für die Theaterarbeit der Zukunft, zu der man im täglichen Geschäft nicht kommt.

Was entgegnen Sie denn Leuten, die feststellen: Den institutionalisierten Bühnen geht es eh gut, die Leute werden weiter bezahlt und müssen nicht arbeiten – und sehen sich trotzdem als Opfer der Krise, nur weil sie halt ihre Häuser eine Zeit lang geschlossen halten müssen?
LAUFENBERG: Ich persönlich sehe mich überhaupt nicht als Opfer. Aber ich sehe mich in der Verantwortung, für möglichst viele freie KünstlerInnen mitzusorgen, die keine Arbeit haben, wenn wir nicht spielen dürfen. Meine Strategie ist es, alle am Arbeiten zu halten. Wir dürfen ja proben, diese Verabredung ist mit der Politik getroffen, und da sind Freischaffende dabei.

Wie verändert sich Ihr Blick auf die nächste Saison?
LAUFENBERG: Man kann sie im Moment nicht planen. Ich jammere nicht. Aber natürlich sind die Menschen, die ins Theater gehen, auch Multiplikatoren in die Gesellschaft. Auch ihretwegen leben unsere Geschichten weiter, die Themen, Konflikte, Sehnsüchte, mit denen wir uns befassen. Und das ist jetzt alles nicht da.

2023 wechseln Sie ans Deutsche Theater in Berlin. Glauben Sie, dass sich der Kulturbetrieb dann wieder ohne Corona denken lässt? Ohne Auflagen im Spielbetrieb?
LAUFENBERG: Ich denke, wir müssen gesamtgesellschaftlich aufhören, Corona unter dem Aspekt „Wann hört das endlich auf?“ zu denken und zu warten, dass sich das Thema erledigt. Das wird nämlich nicht passieren, wenn wir uns nicht mit den Ursachen befassen. Wenn der Mensch weiterhin die Wälder rodet, den Wildtieren die Räume nimmt und überhaupt keine Vorstellung davon hat, dass er ein Teil der Natur ist und nicht ihr Herrscher: Wenn sich das nicht ändert, werden wir weiter mit solchen Gefahren leben müssen.

An die Zukunft des Theaters glauben Sie trotzdem?
LAUFENBERG: Nach wie vor.

Und Sie spielen ab 1. März?
LAUFENBERG: Hoffentlich. Ich halte unsere Sicherheitskonzepte für verlässlich. Und wir testen, testen, testen. Das ist ein wirksamer Teil des Präventionskonzeptes, wir haben immer Überblick über das Geschehen, das Virus hat sich nie im Theater verbreitet.

Aber falls das Publikum sich ansteckt, lähmt das den Betrieb erst recht, oder?
LAUFENBERG: Ich denke, wir können uns auf Abstandsregeln, Mundnasenschutz, Lüftung verlassen. Wir sind ja auch daran interessiert, dass die Gesellschaft funktioniert. Das Problem ist die mangelnde Logik in der politischen Argumentation. Der Test, den wir künftig kontrollieren sollen, ist 48 Stunden alt. Ich mache das mit, aber wichtiger wäre es, die Leute so zu informieren, dass sie die Maßnahmen verstehen und mittragen.