Auf die erste Platte wartet kein Mensch. Wenn diese einschlägt - wie im Fall von „Ansa Woar“ - sind alle gierig auf die zweite. Damit haben Sie sich drei Jahre lang Zeit gelassen. „Auf Muaß geht gor nix, es muaß si ergebn“, singen Sie im Song „Ohrwaschlkräuler“ auf der aktuellen Platte „'s klane Glücksspiel“. Ist das Ihr Zugang zu Erwartungshaltungen?

VOODOO JÜRGENS: Ich war in der leiwaunden Situation, dass ich die erste Platte lang live spielen konnte. Auf „Muaß“ wär zwar auch irgendetwas rausgekommen, aber das wollte ich nicht. Und jetzt hat's mich g'freut, was Neues zu machen. Jetzt hat es sich natürlich, echt angefühlt.

War der Druck groß, schneller zu liefern?

VOODOO JÜRGENS: Eher der Qualitätsdruck. Das heißt, die Frage: Was macht man nach so einer Platte? Ich war ja in diesen drei Jahren nicht untätig. Es rattert immer in mir, ich hab immer das Handy oder ein Bücherl dabei, wo ich meine Sachen, die G'schichtlfetzen, reinschreib. Aber im vorigen Winter war ich dann an dem Punkt, wo ich das Bedürfnis hatte, aus den Notizen ganze Liada zu machen.

Sie haben als Vertreter der neuen Austropop-Szene, als Dialekt-Liedermacher und vor allem als räudig-strizzige Kunstfigur auf Anhieb einen Nerv bei Publikum und Kritikern getroffen. Wenn überhaupt, in welcher Tradition sehen Sie sich? Qualtinger oder Ambros?

VOODOO JÜRGENS: Man saugt alles auf. Die frühen Ambros-Sachen waren sehr fein. Aber mein erster Andockpunkt war schon der Qualtinger. Wie er in Rollen geschlüpft ist und ganze Kunstwelten geschaffen und die Menschen damit auch verwirrt hat, das hat mir schon sehr getaugt. Das ist die Österreich-DNA in mir - oder die Wien-DNA, wenn man so will, obwohl ich aus Tulln komm. Musikalisch bin ich eher amerikanisch sozialisiert. Dylan, Waits, Velvet Underground.

Apropos Waits. Das musikalische Kleid der neuen Platte ist viel bunter und vielschichtiger. Da rumpelt es, da rumort es, da tscheppert es. Haben Sie da ein Korsett aufgeschnürt?

VOODOO JÜRGENS: Die große Veränderung ist, dass die neue Platte eine Band-Platte ist, und mit der „Ansa Panier“ hab ich eine großartige Partie an meiner Seite - da kann man auch mit den Instrumenten ganz anders experimentieren.

Worin unterscheidet sich „s' klane Glücksspiel“ noch von der „Ansa Woar“?

VOODOO JÜRGENS: Die erste Platte hat sich für mich sehr persönlich angefühlt. Da hab ich schon viel von mir selbst preisgegeben und Sachen rausgelassen, über die man normal nicht so leicht redet. Auf der neuen Platte gibt es zwar auch Songs, die autobiografisch eingefärbt sind, aber mein Geschichtenkosmos oder besser: Menschenkosmos ist viel größer geworden. Ich habe also mein Personal aufgestockt.

Ihre Lieder sind ja klassisches Storytelling. Was macht „a guate G'schicht“ aus?

VOODOO JÜRGENS: Ich hab kein Grundrezept, keine Methode. Das Schema Strophe-Refrain-Strophe find ich nicht so spannend, weil ich eben gerne a G'schicht erzähl. Für mich ist wichtig, dass die Figuren glaubhaft und auch genau definiert sind. Das Schwierige ist immer: Wie kann ich möglichst viel über eine Figur erzählen und dafür möglichst wenig Wörter verwenden. Ich skizzier Menschen, ohne sie zu werten. Das heißt nicht, dass es keine Ungustl bei mir gibt. Aber dass dieser Jemand ein Oasch ist, muss aus der Erzählung hervorgehen, ohne dass ich einmal das Wort Oasch verwende.

Wie und wo fliegen Ihnen die Lieder zu, wenn sie das tun - zufliegen?

VOODOO JÜRGENS: Es ist schon eine Art Zufliegen. Ich muss in Bewegung sein, damit sich etwas rührt in meinem Gehirn. Was ich gerne tu: mich bewusst verirren - und dann in einer Gastwirtschaft meine Zettelwirtschaft ordnen. Für die neue Platte war ich zum Beispiel in diesem Ort, wo früher der Kaiser oft war, wie heißt er doch gleich, der Ort, mein ich?

Bad Ischl?

VOODOO JÜRGENS: Genau. Dort bin ich eine Woche lang herumspaziert.

Dort würde man Sie eher nicht vermuten. Sie kitzeln Poesie aus dem Alltag und treiben sich in Ihren Liedern eher in der verruchten und verrauchten Halbwelt herum, die oft von patscherten Hallodris bevölkert wird. Wie tief muss man selbst in diese Welt eintauchen, um davon erzählen zu können?

VOODOO JÜRGENS: Es ist immer von Vorteil, dass man weiß, worüber man singt. Das heißt aber nicht, dass man alles selbst leben oder erleben muss. Da muss man sogar aufpassen. Ich hab eine Zeit gehabt, wo ich wesentlich wilder gelebt hab. In Wahrheit muss man sich oft raushalten aus seiner Liederwelt. Das Unterwegssein ist wichtig für die Inspiration, aber man darf sich nicht verlieren. Aus diesem teilweisen Rückzug aus der eigenen Erzählwelt ist in Wahrheit auch die erste Platte entstanden. Dann erst hatte ich die Ruhe, das Erlebte zu Papier zu bringen bzw. zu Musik zu machen. Solange man zu tief in der eigenen Geschichte, im eigenen Sumpf auch, steckt, ist man gar nicht in der Lage dazu.

Sie mussten also aus Ihren eigenen Geschichten heraussteigen oder zumindest einen Schritt zur Seite gehen, um später daraus Kunst machen zu können?

VOODOO JÜRGENS: Schön g'sagt. Genau so, ja.

Voodoo Jürgens ist nicht nur ein Künstlername, sondern auch eine Kunstfigur. Wie viel vom David Öllerer, so Ihr „bürgerlicher“ Name, steckt im Voodoo Jürgens? Und ist diese Figur auch eine Art Verkleidung?

VOODOO JÜRGENS: Nein, das sehe ich nicht so. Im Voodoo Jürgens steckt sehr viel vom David Öllerer, der Voodoo ist aber trotzdem nur eine Variante von mir, eine Seite. Und diese Variante von mir wird natürlich, wenn ich sie auf die Bühne bringe, verstärkt. Als Privatperson habe ich natürlich mehr Facetten.

Was tut dieser David Öllerer zum Beispiel?

VOODOO JÜRGENS: Der ist unlängst in die Caravaggio-Ausstellung gegangen.

Und das Styling? Diese irgendwie zärtlich verlotterte 70er-Attitüde mit grindigem Charme.

VOODOO JÜRGENS: Das bin ich, das war schon immer meins, das ist keine Verkleidung. Ich hab mir immer schon auf Flohmärkten mein G'wand zusammengesucht. Auch die silberne Halskette gehört dazu. Die hab ich schon lange, sie lange nicht verwendet. Die ist von meinem Onkel, die hat er gewonnen.

Beim kleinen Glücksspiel.

VOODOO JÜRGENS: Ja, eh! Nachdem er gewonnen hat, hat er allen Verwandten Silberketten gekauft. Und ich hab mir immer gedacht: „Was mach ich mit dieser Silberkettn?“ Aber irgendwann hab ich sie mir dann umgehängt, und es hat plötzlich Sinn gemacht.