"Tribes of Europa", ab morgen auf Netflix: Wir schreiben das Jahr 2074. Eine mysteriöse Katastrophe löste ein europaweites Blackout aus und veränderte den Kontinent von Grund auf. Europa besteht nunmehr aus unterschiedlichsten Territorien diverser Stämme, die um die Vorherrschaft kämpfen. Im Zentrum stehen drei Geschwister, die sich nach dem Angriff auf ihren Stamm in dieser zum Teil höchst dystopischen Welt alleine durchschlagen müssen. Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch im Interview:

Sie wurden vom Brexit zur Serie inspiriert. Hat Sie das so schockiert, dass Sie gleich an eine Dystopie gedacht haben?
PHILIP KOCH: Als überzeugter Europäer war ich von der Brexit-Entscheidung sehr schockiert und wollte zu Ende denken, was passiert, wenn die Europäische Union sich immer weiter destabilisiert, auseinanderbricht und der Separatismus explodiert. Ich wollte eine Serie über das Ende von Europa machen – ironischerweise ist es dann eine über den Neuanfang geworden.

Wie darf man sich diesen Neuanfang, viele Jahre nach einem globalen Blackout und dem Zerfall Europas, vorstellen?
PHILIP KOCH: Es ist eine Aufbruchsgeschichte, eine Situation wie im Wilden Westen, wo man Abenteuer erleben kann, aber auch neu anfangen – mit der Hoffnung auf ein gutes Leben. Wir haben verschiedene Tribes: Die Crows stehen auf der dystopischen Seite des Spektrums, ihnen gegenüber steht die Crimson Republic, die für eine europäische Einheit kämpft, oder die Origines, die sich der Technologie entsagt haben und im Einklang mit der Natur leben. Es gibt in dieser Welt auch ganz viele positive utopische Vereinigungen und Tribes, und alle können sich so etwas wie ihre eigene Heimat und ihre eigene Kultur schaffen. Aber es gibt auch Stämme da draußen, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Vor diesem Spannungsfeld spielt die Serie.

Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch mit Robert Finster bei den Dreharbeiten
Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch mit Robert Finster bei den Dreharbeiten © (c) Gordon Timpen

Eine zentrale Frage, die sich bei der Serie mehrfach stellt, ist: Wie viel Gewalt verträgt der Friede? Der Stamm der „Crimson Republic“ erinnert an die UNO und an die Frage: Wie lange schaut man zu, wann greift man ein?
PHILIP KOCH: Ich persönlich glaube, dass die Schweizerische Verantwortungsethik zur wichtigsten globalen Frage des Jahrhunderts werden wird: Wie weit dürfen wir Gewalt anwenden, um für den Frieden zu kämpfen? Und je mehr sich alles radikalisiert, desto notwendiger erscheint es mir ob der Aussichtslosigkeit, buchstäblich für Frieden, Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Ich hoffe natürlich, dass es nicht dazu kommt, aber ich habe Sorge. Ich glaube, dass wir Gefahr laufen, dass wir wieder an der Waffe für die Freiheit kämpfen müssen.

Die Serie hat starke Frauenrollen. Wie war Ihre Herangehensweise an die Figuren, was war Ihnen in der Erarbeitung wichtig?
PHILIP KOCH: Für mich waren die weiblichen Hauptfiguren gesetzt, denn es sind Frauen, die die Initiative übernommen haben. Gerade in Liv, eine der Hauptfiguren, kommen auch Abgründe und schwache Momente durch, aber trotzdem hat sie eine große Mission: Die Verantwortung zu übernehmen und die Familie zusammenzuführen. Eine Aufgabe, die man früher immer als Aufgabe des Vaters gesehen hat. Natürlich steckt da eine Message dahinter, weil ich das gut und richtig finde, dass sich das patriarchale System ändern muss. Ich glaube auch, dass eine Art feministische Revolution noch stattfinden wird, die sehr viele positive Änderungen mit sich bringen kann.

Eine Frage an den überzeugten Europäer: Was ist für Sie die Essenz von Europa?
PHILIP KOCH: Das ist ein Miteinander der Kulturen, die einander respektieren und die gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit eine Einheit bilden. Das macht uns aus.

Kurzkritik "Tribes of Europa": Die Odyssee der Geschwister

Für Regisseur und Drehbuchautor Philip Koch ist die Serie „Tribes of Europa“ eine „emotionale Actionsaga“. Große politische Diskussionen wird sie nicht auslösen, aber die zentralen Fragen nach Macht, Machterhalt und Unterdrückung dürfen sich zumindest die älteren Zuschauer durchaus stellen. Der Rest darf nach Spuren diverser Inspirationsquellen wie „Tribute von Panem“ oder „Mad Max“ Ausschau halten.

In Summe folgt man drei Erzählsträngen, die sich an die Fersen dreier Geschwister heften: Jedes für sich hat in dieser zerrütteten dystopischen Welt eine andere Aufgabe zu erfüllen – mit ganz unterschiedlichen Verbündeten. Abenteuerliche Selbstermächtigungstrips eines durchaus sympathischen Trios.

Die sechs kurzweiligen Folgen wirken jedoch wie das Aufstellen aller Charaktere auf das Spielfeld. Heißt: Man geht davon aus, dass noch weitere Staffeln folgen werden.