Wie lange haben Sie wegen Corona nicht live gespielt?
THEES UHLMANN: Ich habe während der Pandemie mit zwei Freunden aus der Band kleine Auftritte gehabt, wir haben uns das getraut und ganz eng mit den Gesundheitsämtern zusammengearbeitet. So war es nur ein Jahr, wobei das natürlich auch komisch ist, wenn man sagt, „nur“ ein Jahr. Jetzt spielen wir wieder in der großen Besetzung. Zum ersten Mal in meinem Leben sag' ich, dass jetzt auch mal wieder Geld verdient werden muss. Bei mir ist das zwar nicht das Hauptmotiv, aber bei den Technikern usw. ging die Tatenlosigkeit einfach massiv in den finanziellen und emotionalen Bereich rein.

Ein Jahr ist ja auch sehr lange, wie ging es Ihnen mit dieser Pause?
Da müssen Sie meine Tochter fragen. Im Februar hat sie gesagt: „Februar ist nicht der Monat von Papa“. Dieses immer an einem Ort sein, das bin ich nicht gewohnt. Reisen, Menschen treffen, Auftreten, das ist meine Normalität. Ich habe schon ein unaufgeregtes Leben, ich mag keine Randale, aber wenn Leute bereit sind, Geld hinzulegen, um uns live zu sehen, dann kriegen sie auch „The Full Monty“. Ich brauche auch die Reaktion der Leute. Diese Sachen packen und losfahren, anderen Menschen eine Freude machen, das hat mir alles sehr gefehlt.

Und haben Sie die Zeit genutzt für neue Lieder oder ein neues Buch?
Das werde ich oft gefragt. Für mich ging das überhaupt nicht. Damit mir irgendetwas einfällt, muss auch etwas los sein. Ich unterstütze alle Maßnahmen gegen die Pandemie und halte die für sinnvoll, aber im Lockdown fällt mir halt nichts ein. Aber für die Gesellschaft sind in einer solchen Zeit ganz andere Sachen wichtig, als ein neues Lied von mir. Es war langweilig und bleiern. Es war der letzte Sonntag der Sommerferien, aber halt die ganze Zeit.

Ihre Songs sind ja stark reflektierend, das heißt Corona-Songs von Thees Uhlmann gibt es aber keine?
Vielleicht kommt im Nachhinein noch etwas, ich habe gerade mit einem Freund telefoniert, der auf einer Intensivstation arbeitet. Der erzählt so krasse Sachen, von 25-jährigen Bodybuildern, die noch nie im Leben eine Zigarette geraucht haben und die langsam keine Luft mehr bekommen. Da fühl' ich mich einfach nicht berechtigt, einen Song über meine Befindlichkeit zu schreiben. Und einen Song etwa den Krankenschwestern zu widmen, das finde ich persönlich übergriffig. Andere können das ruhig machen, für mich ist das nichts.

Ihre Songs erwecken den Anschein, dass sehr viel Privates drinsteckt. Ist das für Sie kein Problem, soviel Persönliches preis zu geben oder ist die Musik, die Kunst gewissermaßen die Schwelle, die das alles mildert und es erzählbar macht?
Vielleicht haben Sie im Endeffekt recht. Es gibt ja die "böse Platte", fast ein ganzes Album, das ich nicht fertig gemacht habe und wo die Texte so wahnsinnig schlecht sind. Das war so geschwurbeltes Deutsch. Die Texte waren nicht echt, sondern irgendwas, von dem ich dachte, dass es cool sei. Ich finde, meine Songs haben dann eine Berechtigung, wenn ich bereit bin, mit mir selbst in den Infight zu gehen. Ich denke, dass das die Leute dann auch mögen, wenn ich so etwas Persönliches schreibe. Aber es ist ganz simpel: Ich bin leicht betrunken und einsam in Berlin. Und ich denke, vielleicht erkennt dann jemand aus Graz dieses Gefühl wieder. So ist die Kunst. Das Gefühl, dass man nicht allein ist. Aber ich singe ja darüber, was für mich wichtig ist. Das ist Kunst, wie ich sie halt mag.

Auf der letzten Platte gibt es  viele popkulturelle Referenzen, ein Lied über Steven King, über Avicii, irgendwie kommt Katy Perry vor und eines der gelungensten Lieder handelt von einer Randfigur bei einem Hip-Hop-Videodreh. Bewegen wir uns in einer Wirklichkeit, die massiv von solchen medialen Referenzen und Bildern geprägt ist, also der früher oft zitierten „Referenzhölle“?
Bei dieser Platte ist das so reingerutscht, ich kam ja aus einem Loch, in dem mir fünf Jahre lang nichts eingefallen ist. Das mit dem Avicii war interessant, weil keiner damit rechnet, dass ich ausgerechnet einen Song über ihn schreibe. Aber das kam aus der großen Liebe zu seinen Songs, mit der gleichzeitigen totalen Ablehnung dieses Jet-Set-Seins. Keine Ahnung, ob das auf der nächsten Platte wieder so sein wird. Es macht schon Spaß, über Stephen King zu singen und zu sagen, schaut her, das sind meine Helden. Ich hab' ja schon mit 16 auch wie besessen Mixtapes aufgenommen, weil ich wollte, dass die Leute diese und jene Musik kennen.

Was hat zu dieser fünfjährigen Pause geführt?
(Seufzt sehr tief). Ich hatte wahnsinnig schlechte Laune. Die ist kein guter kreativer Berater. Irgendwie wurden schnell fünf Jahre daraus, ich bin auch nicht der Typ, der sich zwei Monate ins Exil begibt, um über die Platte nachzudenken. Ich will und muss mich auch um meine Tochter kümmern. Und dann kann man keine guten Songs schreiben, und da dauert dann so etwas mal ein bisschen.

Zurück zu den „verschwurbelten“ Zeiten, Tomte werden ja auch zur Hamburger Schule gezählt. Können Sie heute mit dem Begriff Diskurspop etwas anfangen?
Als Kind der Neunziger schon. Das war eine große Zeit, als hochintellektuelle Platten in Hamburg rausgekommen sind: Blumfeld, die frühen Sterne. Die Relevanz von Rockmusik ist in den letzten 20 Jahren doch geschrumpft. Ich wollte so etwas nie machen. Wenn man „L' etat et moi“ von Blumfeld hört, tut sich ein ganzer politischer Kosmos auf. Wenn ich heute etwas Politisches höre, da finde ich es oft erhellender, einen Artikel in der „Zeit“ zu lesen.