„Es ist wie beim Erdöl“, sagt Jared, mit seinen 34 Jahren der Bandjüngste. „Du musst immer tiefer bohren, um noch etwas zu finden. Die einfach zugänglichen Quellen sind irgendwann erschöpft. Weil wir einfach schon sehr viele Lieder gemacht haben, aber auch, weil uns das Drama abhandengekommen ist.“ Alle vier – also neben dem Bassisten Jared seine älteren Brüder Caleb (Gesang) und Nathan (Schlagzeug) sowie Cousin Matthew (Gitarre) Followill – seien glücklich in ihren Beziehungen. Alle vier haben auch bereits Nachwuchs, Jareds Tochter Adeline kam im Januar 2020 zur Welt.

Den Corona-Lockdown, der nicht nur zur fast einjährigen Verschiebung des mit wieder mit dem Produzenten Markus Dravs (Arcade Fire, Mumford & Sons) aufgenommenen Albums, sondern auch zu einem unbeabsichtigten Stecker-raus-Jahr führte, habe der Bassist denn auch durchaus genießen können. Er sagt: „Wir können uns nicht beklagen, doch für die Arbeit wäre mehr Leid nicht schlecht. Der letzte Liebeskummer liegt für uns schon ewig lange zurück. Songs zu schreiben, wenn du am Boden zerstört bist, ist einfach. Traurigkeit bringt tolle Musik mit sich. Aber verheiratet sein, Vater werden, das ist für deine Kunst ziemlich öde. Daher mussten wir besonders tiefe Löcher buddeln.“

Und zum Beispiel einen Song schreiben wie das ruhige, herzzerreißend traurige „100.000 People“. Der Text handelt von einem Mann, der an Alzheimer leidet. Er verliert langsam sein Gedächtnis und seine Erinnerungen. Followill: „Sein gesamtes Leben verblasst allmählich. Nur seine Frau erkennt er noch. Die beiden verbringen nun jede Minute zusammen im Altersheim, bevor er auch sie vergessen wird. Das Leben bietet dir so viele Ideen und Geschichten.“

In „Golden Restless Age“, dem wohl neben der vorab veröffentlichten Ausreißerhymne „The Bandit“ rockigsten und kraftvollsten Stück des insgesamt sehr formidablen und melodisch überzeugenden neuen Albums, widmen sich die Folk-Blues-Rocker dem anderen Ende der Alterspyramide: der Jugend. „Die jungen Leute wirken auf mich heute viel ruheloser und gehetzter als wir es damals waren. Die hüpfen immerzu von einem Ding zum nächsten und schaffen es kaum, sich für längere Zeit mit einer Sache zu beschäftigen. Für uns war es zum Beispiel selbstverständlich, einen kompletten Spielfilm am Stück anzuschauen. Bei den Teenagern heute reicht es gerade noch für ein 15-sekündiges TikTok-Video.“ Auch Jared Followill habe sich zwar mal die bei Kids populäre Tanzvideo-App aufs Handy geladen, komme aber nicht mehr rein, da er sein Passwort vergessen habe. „Was neue Technologien betrifft, bin ich 65 Jahre alt“, sagt der Musiker mit einem Lachen.

Dabei war Jared immer der Jüngste. Als die Kings Of Leon zum ersten Mal um die Welt tourten, waren die Brüder und der Cousin knapp volljährig, er selbst aber erst 16. „Ich machte Sachen, von denen alle anderen Jugendlichen nur träumen dürfen oder erst im College erleben. Es war phantastisch, alles zu dürfen und so herauszufinden, was man eigentlich will.“ Jared Followill wusste somit früh, dass Drogen ihm nicht zusagen und das häufige Besäufnisse für ihn verzichtbar sind. „Eine Flasche Wein am Abend ist für mich verdammt viel und so etwas wie die Obergrenze.“

Gern und ausführlich kommt Jared Followill auf das Verhältnis zu den Verwandten in seiner Band zu sprechen. Nach dem extrem erfolgreichen vierten Album „Only By The Night“ aus dem Jahr 2008 mit seinen bis heute im Radio oft zu hörenden Singles „Use Somebody“ und „Sex On Fire“ schlitterte das Quartett in eine heftige Krise. Insbesondere Frontmann Caleb Followill kam schlecht damit zurecht, dass die Band nun mitten im Rock-Mainstream gelandet war, litt unter einem Burn-Out und musste wegen seiner Erschöpfung eine ganze US-Tour absagen.

Die Spannungen zwischen den vier Jungs wuchsen seinerzeit fast bis zum Zerreißen, doch zur Trennung kam es nicht. „Wir sind viel gelassener geworden und gehen heute entspannt miteinander um“, so Jared. „Letzten Endes sind wir ja auch nichts anderes als ein Familienunternehmen. Das macht alles komplizierter und persönlicher. Ich würde uns als eine der seltenen Erfolgsgeschichte einer Brüderband bezeichnen, die durch alle Höhen und Tiefen zusammengeblieben ist.“

Sollten die Musiker trotzdem mal argumentativ aneinandergeraten, „denn das kreative Konkurrenzdenken innerhalb der Band ist stark ausgeprägt, jeder will die anderen mit seinen Ideen begeistern“, reagieren sie sich bei einer sehr Kings-Of-Leon-spezifischen Sportart ab. Dem Wallball, zu Deutsch Wandball. Bitte, was? „Einer wirft einen Ball an die Wand, und der nächste muss danach springen. Ein sehr unernster, leicht lächerlicher Sport, so eine Art Squash ohne Schläger. Wir lieben es.“