Hat sich eigentlich der Anwalt von Andrea Berg schon bei euch gemeldet mit einer Klagsdrohung?
FRANZ WENZL: Nein, sollte er? Und warum klagen?

Weil Andrea Berg vor Jahren auch ein Album mit dem Titel „Atlantis“ veröffentlicht hat.
WENZL: Ah, ja, genau. Und der Donovan hatte ein berühmtes „Atlantis“-Lied, das der Georg Danzer einmal gecovert hat. Aber, nein, keine Klagen bislang.

Eine Verwechslungsgefahr mit dem Schlagerstar besteht ohnehin nicht. In eurem „Atlantis“ liegen faulige Birnen und Pizzakartons herum. Wie kam es eigentlich zum Albumtitel?
WENZL: Im Laufe der Arbeit hat sich herausgestellt, dass es in vielen Songs um Idealismus, um das Abgebrühtsein geht. Und diese Platte ist irgendwie ein Plädoyer für den verschollenen Idealismus – auch jenen in uns selbst. Und Dinge oder Werte, die verloren gehen, also versunken sind, die sind natürlich interessant. So sind wir auf Umwegen in „Atlantis“ gelandet.

Es fällt auf, dass ihr in den neuen Songs oft in die Vergangenheit zurückreist und dort eintaucht.
WENZL: Ja, aber das hat nichts mit sentimentaler Nostalgie und diesem verklärten „Früher war alles besser“ zu tun. Wir trauern nichts nach, schon gar nicht der Jugend. Aber diese Unerschrockenheit, dieses offene Entdecken der Welt, dieses leidenschaftliche Warten auf etwas, das man sich ersehnt; all das ist schon etwas Bewahrenswertes.

Ist „Atlantis“ eigentlich ein Lockdown-Album?
WENZL: Nein, die Aufnahmen sind bereits 2019 entstanden, dann haben wir die Veröffentlichung aus bekannten Gründen verschoben. Insgesamt hatten wir kein Konzept für diese Platte, wie sie klingen sollte und wem gefallen. Aber daran denken wir eh nie. Auch musikalisch gab es keine Beschränkungen, das ist eine ganz wilde Mischung diesmal. Vom hymnischen „Electric Light Orchestra“-Sound, das unserem neuen Bassisten so gut gefällt, über flackernden Space-Rock bis zu mäanderndem Krautrock ist alles dabei.

Ich muss noch einmal auf die Frau Berg zurückkommen: Den Song „Kilometerweit Weizen“ könnte sie singen, dachte ich mir. Aber dann wird es doch noch ein heimtückischer Kreisky-Song, in dem am Ende Außerirdische niedergetreten werden. Ich höre aus eurem „Atlantis“ viel wütende Melancholie heraus.
WENZL: Ich finde das Album eher optimistisch. Es geht schon trist zu, aber ab und zu gibt es Auswege.

Wo genau findet man denn diesen optimistischen Grundton?
WENZL: Da muss ich jetzt auch überlegen. Vielleicht sollten wir besser versöhnlich sagen.

Eure Songs sind oft Kurzgeschichten mit meist fiesen Pointen, in denen sich das Böse und das Blöde sehr nahekommen. Was interessiert sie als Texter mehr: das Böse oder das Blöde?
WENZL: Wahrscheinlich das Blöde. Oder besser: das Banale. Denn in kleinen Geschichten entdeckt man oft Großes.

In den Geschichten auf „Atlantis“ geht es auch oft um den Verlust von Illusionen.
WENZL: Wenn es einen roten Faden gibt, dann diesen. Und wenn alte Illusionen verloren gehen, sollte man sich neue suchen. Aber ich meine Illusionen nicht im Sinne von Selbsttäuschung, sondern als Leuchtpunkte. Es geht mir um die großen Gefühle, das große Lebenskino. Ohne Grandezza ist es fad!

Im Progrock-Brocken „Meine Zunge ist leer“ findet sich die Textzeile: „Blöde Witze und cooles Wissen. Und damit kommt man ja auch durch, wenn man will.“ Ist das eure Beschreibung der aktuellen Kommunikationsform?
WENZL: Das Besserwisserische und der aggressive Aktivismus in sozialen Medien ist schon eine unlustige Tendenz.

Früher hatten wir in Österreich neun Millionen Fußballtrainer.
WENZL: Jetzt sind es neun Millionen Virologen.

Mit welcher Farbe würden Sie das neue Album beschreiben?
WENZL: Buntgrau.

Kreisky-Musik passt in keine Schublade, oder?
WENZL: Wir sind doch die Grantrocker! Dieses Etikett hat uns auch gute Dienste geleistet. Es stimmt zwar nicht mehr, aber jetzt darüber zu maulen wäre feig.

In den Gedichten von Michel Houellebecq kommt das Wort Tod ebenso vor wie das Wort Tiefgarage. Dieses Wechselspiel aus Elementarem und Alltäglichem findet sich auch in der Kreisky-DNA.
WENZL: Damit ist die Conditio humana perfekt beschrieben. Drastische Dinge sind oft nur einen Steinwurf von einem Zufall entfernt. Das Wort „Tiefgarage“ habe ich übrigens noch nie in einem Text verwendet. Jetzt haben Sie mich auf eine Idee gebracht, danke.

CD-Tipp: Kreisky. "Atlantis". Wohnzimmer Records.

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