Da sitzt dieser Dolm mit der Gitarre am Lennon-Memorial „Strawberry Fields“ im New Yorker Central Park und süßelt doch tatsächlich McCartneys „Yesterday“ in die gerührte Menge. Als ob es nicht genügend Lennon-Songs gäbe. Meinetwegen das ebenso pickige „Imagine“, besser noch „I Am the Walrus“ oder am besten das geniale „Happiness Is a Warm Gun“. Wenn dieser Ignorant ein bisschen Grips hätte, könnte er sogar „How Do You Sleep?“ singen, Lennons Abrechnung mit dem gehasst-geliebten McCartney.

Der Dolm schlurft jetzt davon in Richtung Dakota Building, vor dem John Lennon am 8. Dezember 1980 von Mark David Chapman erschossen wurde. Chapman sitzt noch immer im Gefängnis, Lennon-Witwe Yoko Ono müsste einer Begnadigung zustimmen. Tut sie aber nicht. Geboren wurde John Winston Lennon am 9. Oktober 1940. Er wäre heute 80 Jahre alt.

Lennon also. Kaum jemand in der Popgeschichte wurde so ausführlich vermessen, etikettiert und mit Plattitüden – im Positiven wie im Negativen – zugekleistert wie er: Genie, Rebell, Beatles-Sprengmeister und zynischer Brunnenvergifter (natürlich gemeinsam mit Yoko Ono), größenwahnsinniger Egomane („Wir sind populärer als Jesus“), traumatisierter Muttersohn („Julia“), Friedensengel und -aktivist am taubenweißen Klavier.

Bereits bei den Beatles war die Rollenverteilung trotz realer Abweichungen festgezurrt und ist es bis heute: der liebe, melodienselige McCartney, der expressive und exzessive Lennon, der begabt-sensible Esoteriker Harrison und der Pausenclown Ringo.

Lennon also. Ein Leben und Sterben in Dekaden. Von 1960 bis 1970 wuchtete das Quartett aus Liverpool mit 13 Alben den Gral der Popmusik in die Ewigkeit. Von 1970 bis 1980 hatte Lennon dann noch zu leben. Es waren zehn Jahre das Suchens, Tobens, Verirrens und letztendlich wohl auch Findens. Lennon nahm – der kreativen Reibung mit McCartney verlustig gegangen – gute, aber nicht herausragende Soloalben auf, veranstaltete gemeinsam mit seiner Frau – der japanischen Konzeptkünstlerin Yoko Ono – Friedensaktionen, Bed-ins, Kunstausstellungen und eine Reihe von ziemlich unsäglichen Experimentalfilmen.

Er ging mit der Plastic Ono Band auf Tournee, feierte eine Monate dauernde, wüste Party, betäubte sich mit Alkohol, Drogen, Sex und Schlägereien, trennte sich von Yoko Ono – und kehrte 1975 reumütig zu ihr und nach New York City zurück. Die Ikone der Friedensbewegung führte gegen sich selbst und den Rest der Welt einen verlustreichen Krieg.

Meine fünf Top-5-Lennon-Songs

1. Happiness Is A Warm Gun


2. How Do You Sleep?


3. Instant Karma


4. Cold Turkey


5. Beautiful Boy


Doch dann, 1975, die Zäsur. Und der bittere Zynismus des Lebens: Ins Reine kam Lennon mit seinem lädierten Ego und den Mitmenschen offenbar erst gegen Ende. Im Oktober wurde Sohn Sean geboren, Lennon zog sich für fünf Jahre fast völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Erst 1980 kehrte er zurück, mit dem Album „Double Fantasy“ im Gepäck.

Im Song „Watching The Wheels“ singt Lennon davon, dass es ihm gut gehe, dass es keine Probleme gebe, nur Lösungen, und dass er „die große Zeit“ nicht vermissen würde. Und in „Beautiful Boy“, geschrieben für seinen Sohn, findet sich folgende Textzeile: „Das Leben ist das, was sich ereignet, während du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen.“ Die Räder des Lebens liefen rund. Und dann kam Mark Chapman.

© KK

Anspieltipp. John Lennon. "Gipmme Some Truth". Neue Best-of-Compilation in verschiedenen Editionen. Universal.

TV-Hinweis: Heute. Mordfall John Lennon. Doku, ORF III, 21.10 Uhr. „Nowhere Boy – Als John Lennon ein Junge war“. Biopic, ORF III,
21.55 Uhr.