Das nennt man wohl marketingtechnischen Selbstbetrug der Sonderklasse: „This Is a New Phase Beatles Album“ ist auf der Rückseite von „Let It Be“, erschienen am 8. Mai 1970, zu lesen. Neue Phase? Es war die ultimative Schlussphase, der „Point of No Return“, das letzte veröffentlichte Album einer Gruppe, die in den kurzen zehn Jahren ihres Bestehens nicht nur Musikgeschichte geschrieben, sondern diese Geschichte nachhaltig geprägt hat. Bis heute.

Bereits am 10. April hatte Paul McCartney den ersten 100 Exemplaren seines gleichnamigen Soloalbums eine Presseerklärung beigelegt, in der er seinen Austritt aus der Band bekannt gab. Damit wurde der Erscheinungstermin von „McCartney“ zum offiziellen Trennungsdatum der „Fab Four“. Das juristische Ende folgte übrigens erst Jahre später, denn nach dem musikalischen Aus entbrannte ein erbitterter Rechtsstreit um den Nachlass der Gruppe. Erst im Dezember 1974 unterzeichnete mit John Lennon der letzte der vier Musiker das sogenannte „Beatles Agreement“, am 9. Jänner 1975 schließlich wurde durch ein Londoner Gericht auch die formale Auflösung der Beatles bekannt gegeben.

Auch heute noch, 50 Jahre nach dem Erklingen des Schlussakkords, werden voll Leidenschaft und Expertentum Fragen verhandelt, die im Grunde nicht beantwortbar sind: Warum ist diese Gruppe, die mit 13 Alben den Gral der Popmusik erschaffen hat, zerbrochen? Wer oder was war schuld? Hätte man diese schwierige Viererehe nicht doch noch retten können?

Eines vorweg: Den einen, einzigen Grund gab es nicht. Die gerne erzählte (und geglaubte) Mär, dass in erster Linie Yoko Ono, John Lennons Frau, schuld am Zerbersten der Gruppe gewesen sei, hat selbst Paul McCartney längst widerlegt. Ihre ständige Anwesenheit im Studio habe ihn zwar genervt, aber dass sie für die letztlich letale Dosis Gift verantwortlich war: Bullshit! Für das Toxische, das schließlich gleichsam zu einem multiplen Organversagen geführt hat, waren die vier Herren schon selbst verantwortlich.

Das "Rooftop Concert"  war der letzte Live-Auftritt der Beatles. Es fand am 30. Januar 1969 in London statt.

Wer mehr Schuld trug, wer weniger, auch darüber werden seit Jahrzehnten gerne Expertisen abgegeben. Faktum ist, dass – wie so oft bei einem genialen Zweiergespann – John Lennon und Paul McCartney schon längst nicht mehr miteinander konnten – ohneeinander natürlich auch nicht. Dazu kam: George Harrison, vor allem vom despotischen Zyniker Lennon meist rüde abgekanzelt, wollte seine (wunderbaren) Songs besser präsentiert wissen. Und sogar der stoische Ringo Starr verlor zunehmend die Contenance. Legendär die Anekdote, dass der Drummer einmal inmitten von Studioaufnahmen ausbüxte und erst nach der Beteuerung oder besser: Notlüge der anderen drei, er sei der beste Schlagzeuger der Welt, wieder zurückkehrte.

Natürlich spielte, wie stets, auch der schnöde Mammon eine maßgebliche Rolle an den atmosphärischen Verwerfungen. Am 27. August 1967 war Brian Epstein – neben Produzent George Martin eine der prägenden Figuren im Beatles-Kosmos – gestorben. Die Gruppe hatte damit nicht nur ihren Manager, sondern auch ihren Mittelpunkt verloren. Lennon, Harrison und Starr einigten sich auf den äußerst geschäftstüchtigen, aber ebenso windigen Allen Klein als Nachfolger – ohne McCartneys Einverständnis. Eine weitere Seite in dieser Chronik eines angekündigten Todes. Einer wahrlich unvergleichlichen Chronik, die erst wenige Jahre zuvor aufgeblättert worden war.

Im Helter-Skelter-Tempo haben sich die vier Freunde aus Liverpool von der 08/15-Kellerband in den Popolymp hochgewirbelt. Bereits Mitte der 60er-Jahre hatte die „Beatlemania“ dermaßen ohrenbetäubende Auswüchse angenommen, dass die Fabelhaften Vier beschlossen, nicht mehr live aufzutreten – man hörte ohnehin nur noch hysterisches Gekreische.

Dem Rückzug ins Studio verdanken wir dann epochale Meisterwerke, denn ohne Platten wie „Revolver“, „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, das „White Album“ oder „Abbey Road“ sähe die Popkultur heute anders aus. Eine Chuzpe der Musikgeschichte: In den Jahren des Auseinanderbrechens, also ungefähr von 1967 bis 1970, haben die Beatles ihren absoluten schöpferischen Höhepunkt erreicht. Wohin hätte es von dort aus noch gehen sollen?

When I find myself in times of trouble/Mother Mary comes to me/Speaking words of wisdom: Let it be.

Mother Mary war eine weise Frau.

© KK

"Let It Be", das letzte Album der Beatles,
wurde im Mai 1970 veröffentlicht