Eines der ersten Bilder, das sich mir aufdrängt, wenn ich an meine Kindheit denke, ist, dass ich ganz wild verkleidet bin, in Rot, mit einem großen Umhang. Und ich singe. Das habe ich immer gemacht. Musik war immer da und das war selbstverständlich. Als Kind habe ich immer gewusst, wer ich bin und was ich machen will.
Diese Gewissheit ist mir als junge Erwachsene verloren gegangen. Von dieser Sehnsucht erzählt der Song „Wie a Kind“.

Heute glaube ich, dass man insofern immer Kind sein kann, als dass man neugierig auf die Welt ist, neue Dinge lernt, sich selbst immer wieder neu begegnet. Dieses Lied war wie eine Kehrtwende in meinem Leben. Ich bin damals schon auf der Bühne gestanden, habe als Background-Sängerin meinen Musikertraum gelebt, war aber schon lange auf der Suche nach etwas, wusste aber nicht genau wonach. Ich konnte es nicht kanalisieren, als ich dann am Klavier gesessen bin und „Wie a Kind“ geschrieben habe, war klar: „Das ist es jetzt!“ So intensiv und eindeutig habe ich mein Bauchgefühl noch nie gespürt.


Mein älterer Bruder war daran nicht ganz unschuldig: Ich war ihn am Mondsee besuchen, wo er lebt. Beim Wandern hat er mir ganz direkt gesagt, dass er es vermisst, dass ich mein Ding durchziehe. Er meinte: „Ich muss dir das jetzt sagen und wenn es so für dich passt, dann passt es eh, aber ich hätte mir gedacht, du machst noch was Eigenes.“

Ina Regen mit ihrer älteren Schwester und ihrem Bruder
Ina Regen mit ihrer älteren Schwester und ihrem Bruder © Privat


Das hat gesessen. Das war wie ein Kelomat, der hochkocht. Aber es war extrem wichtig. Einen Monat später habe ich „Wie a Kind“ geschrieben. Für diese Direktheit ist immer Platz gewesen bei uns zu Hause. Das schätze ich an meiner Familie. Eine Liebe muss groß genug sein, dass man sich auch die nicht ganz so schönen Wahrheiten sagen kann. Wir haben eine sehr gute Gesprächskultur miteinander entwickelt. Deswegen hat man doch Familie: für den Spiegel, den Arschtritt und eine richtig gute Umarmung.
Ich bin das dritte Kind, das „Nestscheißerl“. Mein Bruder ist vier Jahre, meine Schwester fünf Jahre älter als ich. Die Sonntage waren immer ein bisschen heilig bei uns zu Hause. Ich bin recht katholisch erzogen worden. Religion war meinen Eltern sehr wichtig, die Gemeinschaft und das Inhaltliche. Sonntags haben wir gemeinsam gefrühstückt und sind in die Kirche gegangen. Das war ein fixes Ritual. Die Mama hatte am Sonntag immer küchenfrei. Einer von uns hat abwechselnd mit dem Papa gekocht, die anderen zwei mussten abwaschen und aufräumen. Der Mittagstisch war so etwas wie eine Familiensitzung. Hatte jemand ein Problem, wurde das am Sonntag angesprochen, dann suchten wir nach Lösungen. Fast so wie bei einer Supervision.

Den ganzen Tag miteinander reden


Ich genieße es heute sehr, wenn wir einmal wieder alle daheim sind und reden. Wir bleiben über Nacht, treffen uns zum Frühstück, beginnen irgendwann mit dem Kochen – und wir reden den ganzen Tag miteinander – über alles.


Diese Offenheit und Transparenz in der Kommunikation ist etwas, das ich in all meine Beziehungen und Freundschaften eingebracht habe und auf das ich viel Wert lege. Viel gestritten haben wir nie, das konnten wir nicht so gut, dafür umso besser diskutieren. Wir haben es zumindest versucht, uns auf etwas zu verständigen. Schimpfworte, Wutanfälle, Dramen und Prinzessinnen-Gehabe waren nicht gerne gesehen. Es war nie populär, dass sich eine Person viel Platz nimmt. Ich würde sagen, wir sind gut aneinander erwachsen geworden und haben uns einen guten Blick aufeinander bewahrt. Eine wesentliche Lektion, die ich als Erwachsene gelernt habe, lautet: Ich muss das Leben führen, das mir passt. Man kann nicht immer alles richtig machen. Auch nicht für die Familie.

Ein Bild von einer Kindheit: Ina Regen
Ein Bild von einer Kindheit: Ina Regen © Privat


Meine Eltern bewundere ich extrem. Sie sind seit über 40 Jahren miteinander verheiratet, kennen sich noch viel länger. Es war ihre erste große Liebe. Natürlich gab es hin und wieder Krisen. Es beeindruckt mich, wie sie es geschafft haben, nicht nur Eltern, sondern auch ein Paar zu bleiben. Natürlich hatten und haben wir auch unsere großen Krisen, kleinen Reibereien und alltäglichen Herausforderungen. Wo Menschen zusammenkommen, menschelt es und da geht auch einmal etwas schief. Das ist nicht schön, aber es gehört zum Leben dazu.


Meine Eltern haben früher immer Angst gehabt, dass ich, nur weil ich Musik mache, ein anderer Mensch werde, meine Bodenhaftung verliere, unter der Brücke schlafe. Seitdem sie gemerkt haben, dass ich mich als Mensch nicht ändere und sie mich nicht verlieren, sind sie meine größten Fans.

"Familie ist Familie"


Der Anfang war hart. Aber so sehr ich die Harmonie brauche und es allen recht machen wollte – meinen Traum hätte ich nicht aufgegeben, auch wenn meine Eltern dagegen gewesen wären. Meine Karriere ist jetzt eine radikale Veränderung in unser aller Leben. Aber: Familie ist Familie. Wir schaffen auch diese Herausforderung miteinander. Mein Bruder ist auch zufrieden, er macht sich jetzt auch selbstständig. Der Arschtritt kam zurück.