All der Glitzer und all der Funk, all die magischen Auftritte und Outfits: Das Gesamtkunstwerk namens Prince konnte manchmal davon ablenken, was für ein begnadeter Musiker er eigentlich war. Auf "Piano & A Microphone 1983", der ersten unveröffentlichten Aufnahmen seit seinem Tod im April 2016, ist Prince einfach nur ein unfassbar begabter Songschreiber, Sänger und Instrumentalist.

Die Akustik-Session von 1983 kommt wärmer und intimer daher als das meiste, was Prince zu Lebzeiten auf 39 (!) Alben in die Welt setzte. Man hört Prince Rogers Nelson in Rohfassung. Er hat sich in seinem Heimatstudio am Kiowa Trail in Minnesota ans Klavier gesetzt, wegen seines lilafarbenen Anstrichs auch als "Purple House" bekannt. Der Kassettenrekorder läuft - ein schlichtes Verbrauchermodell, kein hochwertiger Schnickschnack. "Ist das mein Echo?", fragt er jemanden im Raum (möglicherweise Toningenieur Don Batts), und "Kannst du das Licht etwas abdunkeln?" Und dann legt er los.

35 Minuten lang gießt Prince seine Stücke in die Klaviatur, ununterbrochen. Nur zum Umdrehen der Kassette setzt er ab. Er singt inbrünstig ins Mikrofon, driftet ab in kurze Beatbox-Variationen und in Scat-Gesang. Spätere Erfolgstitel wie "Purple Rain" (1984), "Strange Relationship" (1987) und "International Lover" (1990) spielt er hier noch stark verkürzt, andere wie "17 Days" (1984) baut er mit freier Improvisation deutlich aus. Es ist ein butterweiches Medley auch für diejenigen, die mit Prince sonst nicht so viel anfangen konnten. Fans dürften ihn nach dieser Platte nur noch mehr verehren.

Der Wendepunkt

Das Jahr 1983 markierte für Prince, damals 25 Jahre alt, einen kritischen Punkt, den diese Aufnahme einfängt. "Es ist die Momentaufnahme eines Typen, der an einem ziemlich bemerkenswerten Wendepunkt seiner Karriere steht", sagt Michael Howe, der Prince persönlich kannte und nun dessen Musikarchiv durchforstet. "Er ist zu diesem Zeitpunkt ein Star, aber nicht der um die Welt bummelnde, Arenen-verschlingende Superstar, der er ein Jahr später nach der Veröffentlichung von 'Purple Rain' wurde."

In diesen Fragmenten klingt bereits der Zauber durch, den Prince später bei Albumaufnahmen perfektionieren und auf der Bühne live umsetzen sollte. Auf "Piano & A Microphone 1983" scheint er noch laut nachzudenken und ahnt offenbar, dass er nicht nur auf Gold gestoßen ist, sondern dass dort, wo diese Melodien und Texte herkommen, noch mehr erstklassiger Stoff verborgen liegt. Mit "kompletter Autorität hämmert" er die Stücke heraus, wie Howe sagt. Prince sitzt hier am "Vorabend seiner Weltkarriere" am Klavier, sagt Troy Carter, Berater der Nachlassverwalter vom sogenannten Prince Estate.

Spiritual für Sklaven

Als besonderes Fundstück sticht "Mary Don't You Weep" heraus, das Prince zu dieser Zeit und in den 1990er Jahren teils bei Live-Shows spielte. Das christliche "Spiritual" stammt aus der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg (1861-65) und war ein Lied der Hoffnung und des Glaubens für schwarze Sklaven. Der Titel hielt sich durch die Jahre der Bürgerrechtsbewegung und ist auch im Abspann von Spike Lees Film "BlacKkKlansman" über den rassistischen Ku-Klux-Klan zu hören. Zahllose Gospelgruppen, aber auch Aretha Franklin, Nat "King" Cole und Pete Seeger hatten den Titel im Repertoire. Veröffentlicht hat Prince ihn nie.

Unter hartgesottenen Fans zirkulierte "Piano & A Microphone 1983" seit Jahren als Raubkopie. Die von Prince beschriftete Kassette aus dem "Purple House" wird nun auch im digitalen Prince-Repertoire auftauchen, bei Spotify, bei Apple Music und YouTube. Wer dabei die Augen schließt und die Displays und Bildschirme für einen Moment vergisst, sieht den jungen Popstar in seinem Heimstudio: einfach nur Prince, ein Klavier und ein Mikrofon.