Zunächst war im Lichtkegel auf der Bühne nur ein Sessel, ein Tisch und ein darauf platziertes Hirn zu sehen. Wer deshalb dachte, dass die folgende Performance Köpfchen haben wird, lag goldrichtig. Denn David Byrne und seine Band zeigten am Dienstagabend im Wiener Museumsquartier, wie intelligenter Pop auszusehen hat. Hier wurde marschiert, musiziert und im Formationsflug Großes geleistet.

Der schottisch-amerikanische Künstler, der in den 70ern und 80ern mit den Talking Heads zu Ruhm gekommen war, gehört sicherlich zu den exzentrischsten, aber auch spannendsten Vertretern seiner Zunft. Natürlich steht er für eingängige Melodien und knackige Beats, aber einfach sind seine Stücke eigentlich nie. Mal haben sie überraschende Widerhaken, dann wird mit dem bisher Gebotenen gebrochen. Wie das live klingt, ist letztlich immer eine Überraschung.

Für seine aktuelle Tour zum im März erschienenen Album "American Utopia" (seine erste Soloveröffentlichung seit 14 Jahren) wagt er sich weit ins Performative vor - weshalb die gerne von den Festwochen bespielte Halle E des MQ auch wie die Faust aufs Auge passte. Zu "Here" nahm Byrne am Tisch platz, drehte und wendete in Hamlet-Manier das Hirn in seinen Händen, während sich zu den Seiten der Bühne ein glitzernder, aus langen Bahnen bestehender Vorhang erhob. Sukzessive traten aus diesem seine elf Mitstreiter hervor, sämtliche Instrumente um Hals oder Hüfte geschnallt, um mal stechschrittartig, dann mit lockerem Hüftschwung die Musik zu begleiten.

Die folgenden gut eineinhalb Stunden waren dann ein exakt durchchoreografierter Abend: Beim melancholischen "Bullet" stand Byrne mit Glühbirne an seiner Seite wie ein Leuchtturmwärter als Solitär im Zentrum, das direkt davor gesetzte "I Dance Like This" gelang als absurder Bastard aus kitschiger Strophe und hämmerndem Refrain, dessen Titel natürlich in Bewegung überführt wurde, und "I Should Watch TV" zeigte, mit welch einfachen optischen Mitteln man Konsum- und Medienkritik umsetzen kann.

Musikalisch dominierte wiederum das sechsköpfige Percussionsteam: Nicht nur umschwirrten sie Byrne auf der Bühne wie die Motten das Licht, sondern drückten die Songs wie das tolle, von der eigentlich recht kritisch aufgenommenen neuen Platte stammende "Everybody's Coming to My House" oder den Talking-Heads-Klassiker "Burning Down the House" mit reichlich Verve nach vorne. Für Feinheiten war da zwar nicht immer Platz - auch lautstärketechnisch wollte man sich offenbar nicht vor den großen Popstars dieser Tage verstecken -, aber die Energie übertrug sich dafür von der ersten Sekunde an auf das jubelnde Publikum in der ausverkauften Halle.

Politisch wurde es natürlich auch, immerhin ist Byrne kein Künstler, der sich den Mund verbieten lässt. Im Foyer war nämlich ein Stand für US-amerikanische Expats zu finden, die sich dort als Wähler registrieren konnten. "Ich bin sehr besorgt darüber, was in den USA passiert", so Byrne, der seit früher Kindheit in den Staaten lebt. Dabei vergaß er nicht auf den Nachsatz: "Und auch über das, was bei euch passiert, bin ich ein bisschen besorgt. Wir alle sind in derselben Krankheit gefangen." Ansonsten überließ er es aber den Songs, Missstände anzuprangern, wie beispielsweise das ebenfalls auf US-Präsident Donald Trump gemünzte "Dog's Mind" vor Augen führte.

Und so surfte man weiter wie in Trance, von Reggae-beeinflusster Rhythmik zu Industrialanleihen, von feingearbeiteten und unwiderstehlichen Hooks zu mächtig aus den Boxen dröhnenden Riffs. Byrne und Konsorten ließen sich kaum festnageln, tänzelten, drehten ihre Kreise und hatten sichtlich Spaß an der Sache. Ernsthaftigkeit und Humor gingen hier Hand in Hand, wobei man sich stets wundern konnte, welch raffinierte Übersetzungen Byrne für seine Stücke fand - und wie pointiert das alles trotz der komplexen und genau ausgeführten Choreografie klang. Entlassen wurde man dann wieder nachdenklich, und zwar mit dem Janelle-Monae-Song "Hell You Talmbout", der die Polizeigewalt gegen Afroamerikaner zum Thema hat. Nicht nur deshalb ein Abend, der definitiv in Erinnerung bleiben wird.