Die Oscars sollen strahlen. Erst recht in diesem Pandemie-Jahr, in dem die Kinos weltweit länger geschlossen als geöffnet waren. Zoom oder Nicht-Zoom? Das heurige Gala-Komitee, angeführt von Steven Soderbergh, beharrt darauf, in der Nacht auf den 26. April ohne Jogginghosen auszukommen und die Goldbuben live in L. A. und diversen Außenstellen zu überreichen. Glamour-Normalität statt Homeoffice-Bildschirmlook wie etwa bei den Golden Globes – inklusive Familienkuscheln auf dem Sofa. Das Zeremonienteam verspricht großes Kino nach filmischem Plot, das in die Welt gesendet wird. Slogan des Trailers: „Bring Your Movie Love“.



Gefragt wäre auch ein großes Publikum. Im Vorjahr sackte die Quote auf einen Tiefpunkt ab: 23,6 Millionen Menschen in den USA sahen zu, wie Bong Joon-ho, Renee Zellweger und Joaquin Phoenix sich Statuetten abholten. 2014 waren es noch 43,7 Millionen. Die Mutter aller Preisverleihungen schwächelt, die Statistik führt sie weiter an. Bei den Grammys schauten nur 8,8 Millionen Menschen zu, bei den Globes nur 6,9 Millionen.


Alle Jahre wieder wagt die Academy den Versuch einer Kanon-Bildung – und scheitert daran regelmäßig. 2020, das Jahr im alternativlosen Streaming-Sumpf erschwert den Prozess. Es mangelte an Blockbustern, Festivals, Leinwand-Filmkultur und einer der Bestimmwerte für die Popularität: die BesucherInnenzahlen. Diese liefern Netflix, Amazon und Co. bekanntlich nicht, sie geben Abrufzahlen nicht preis. Geht es nach einer neuen „Variety“-Umfrage unter 1500 Personen, kämpft nicht nur die Gala, sondern auch die Filme mit einem Popularitätsverlust: Nur 18 Prozent der Befragten gaben an, von „Mank“ (Netflix), zehnfach nominiert, gehört zu haben. Mit 46 Prozent führt „Judas and the Black Messiah“ diese Liste an.


Die gute Nachricht bei aller ignorierten Werke wie „Never Rarely Sometimes Always“ oder „First Cow“: Es gab schon deutlich ärgerliche Oscar-Jahrgänge. Viele Arbeiten wagen ungeschminkte und unglorifizierte Landvermessungen – in der Gegenwart und in der Historie. Die Kandidaten der Königsklasse bester Film (siehe Plakate) berichten z.B. von Bürgerrechten („The Trial of the Chicago 7“), vom Wurzelschlagen einer koreanischen Familie in Arkansas („Minari“), von einer knalligen #MeToo-Rachestory („Promising Young Woman“) oder von Fred Hampton und der „Black Panther“-Bewegung („Judas and the Black Messiah“).


Zur Wahl stehen weiteres eine unkonventionell arrangierte britische Demenz-Story („The Father“), ein Abgesang auf Amerika („Nomadland“), ein intimer Film über einen plötzlich gehörlosen Schlagzeuger („Sound of Metal“) und eine Schwarz-Weiß-Hommage an Hollywood („Mank“).

Ganz schön divers. Noch bevor die Branche ab 2024 offiziell zu neuen, gar nicht so strengen Diversitätsregeln für die Oscar-Einreichung verpflichtet ist. So viel Vielfalt gab es in Hollywoods ruhmreichstem Schaufenster noch nie – nachdem der Akademie 2016 mit dem Hashtag #OscarsSoWhite mangelnde Diversität und später mit #OscarsSoMale fehlende Filmemacherinnen vorgeworfen wurde. Wer auf die Filmplakate blickt, hat es amtlich: Der alte oder Midlifecrises-geplagte weiße Mann im Zentrum beinahe jeden Films wurde um neue Perspektiven, Identitäten, Generationen, Schauspielende und Erzählstimmen erweitert.
Die 93. Oscars könnten ein Jahrgang der ersten Male werden: Erstmals sind zwei Frauen für den Regiepreis nominiert: Chloé Zhao für „Nomadland“ und Emerald Fennell für „Promising Young Woman“. Davor wurden überhaupt erst fünf Regisseurinnen nominiert und nur eine, Kathryn Bigelow, auch ausgezeichnet. All ihre Filme, gilt auch für 2021, erhielten aber nur den Bruchteil der Budgets ihrer männlichen Kollegen. Insgesamt sind 70 Frauen in 23 Sparten nominiert: Rekord!


Mit Viola Davis und Andra Day sind erstmals zwei Schwarze für die beste weibliche Hauptrolle nominiert, Riz Ahmed könnte erster muslimische Hauptrollen-Oscarstar werden, Steven Yeun, und Yuh-Jung Youn die ersten vergoldeten MimInnen aus Korea. Für die beste männliche Nebenrolle sind drei der fünf People of Color. Die Liste ließe sich ewig fortführen. Gerne auch 2022, wenn üppig budgetierte Blockbuster von Spielberg & Co. im Kino waren. Pandemiebedingt sind erstmals Filme ohne Kinostart zugelassen, die Streaminganbieter sind omnipräsent. Im steten Wettkampf Streaming vs. Kino hat in der Königsklasse bester Film die große Leinwand mit 5:3 die Nase gegenüber dem Heimkino vorne. Noch. Abgerechnet wird bekanntlich bei der Gala.