Peinlich berührtes Kichern und verschämte Blicke auf den Boden: Die Kamera, die beim Sexualkundeunterricht durch das Klassenzimmer schweift, fängt geballte peinliche Berührtheit ein. Das ändert sich offenbar auch in Zeiten von YouPorn nicht. Die Aufklärung selbst aber sehr wohl, wie der heutige Arte-Schwerpunkt „Let’s talk about sex: 100 Jahre Aufklärung“ ab 20.15 Uhr (und in der Mediathek) in zwei Dokus zeigt. Was hat sich in den letzten 100 Jahren in Sachen Aufklärung getan? Ziemlich viel, aber eines ändert sich wohl nie: Jeder Form sexueller Offensive folgt wie der Pawlow’sche Hund die Gegenwehr der Konservativen. Gängige Moralvorstellungen haben den Sexualunterricht, wo es ihn überhaupt gab, nicht gerade zum Lieblingsfach der Schülerinnen und Schüler gemacht. Im Gegenteil, wie Bildungshistoriker Jonathan Zimmermann den Trend in der Sexualkunde skizziert: „Die Lehrer haben anhand von Pflanzen und Tieren die Fortpflanzung beschrieben. Sie wollten Sex erklären und jungen Menschen davor warnen, ohne sie zu sehr dafür zu interessieren.“ Die erste Doku behandelt vor allem die historische Entwicklung der Sexualkunde von der Jahrhundertwende bis zu den 1960er-Jahren: Die revolutionären Ansätze des Berliners Magnus Hirschfeld in den 1920er-Jahren sind ebenso Thema wie Beate Uhse und Aufklärer Oswalt Kolle. Doch so fad, wie der schulische Aufklärungsunterricht lange Zeit war, wird es nicht: Neben Expertinnen und Experten kommen immer wieder unterschiedlichste Generationen zu Wort, die über ihre Aufklärung und Sex reden. Der zweite Teil nimmt vor allem das Thema Pornografie unter die Lupe. Pornoregisseurin Erika Lust bemüht sich um einen jetztzeitigen Zugang zum Thema, der nicht nur weiße Heteromänner als Hauptzielpublikum ins Visier nimmt. Es sind vor allem die Diskrepanzen, die bei diesem Thema aufschlussreich sind: Das zeigen die Erfahrungen der Sexualforscher Dorian Solot und Marshall Miller, die Aufklärungskurse an US-Colleges geben – als Gegenstrategie zur latenten Prüderie. Oder eine deutsche Sexinfluencerin, die auf sozialen Medien die Worte Vulva, Penis und Sex mit Märchenbegriffen umschreiben muss, um nicht gesperrt zu werden, während Pornografie flächendeckend verfügbar ist.
Dokus über Aufklärung
Arte-Themenabend: Jetzt ist Schluss mit Bienen und Blumen!
