Am Dienstag stimmen die 35 Mitglieder des Stiftungsrats darüber ab, wer künftig das wichtigste Medienunternehmen des Landes führt. Das Gremium setzt sich aus Delegierten aus den Bundesländern (9), der Bundesregierung (9), Parteien (6), Publikums- (6) und Betriebsrat (5) zusammen. In der nicht öffentlichen Abstimmung braucht es eine einfache Mehrheit für eine Entscheidung.

Bei der Wahl des neuen Generaldirektors im zeichnet sich eine deutliche Mehrheit für TV-Chefproducer Roland Weißmann ab. Nach letzten informellen Gesprächen zwischen Türkis und Grün am Wochenende dürften auch die drei Grünen Stiftungsratsmitglieder ÖVP-Wunschkandidat Weißmann unterstützen. Eine offizielle Bestätigung für die akkordierte türkis-grüne Unterstützung gab es vorerst nicht. Die Grünen dürfen sich für die Wahl von Weißmann laut APA-Infos zwei von vier ORF-Direktoren - Programm und Finanzen - auf ihre Fahnen heften.

Die kolportierte Festlegung auf Weißmann sorgte für erste politische Reaktionen. "Damit bestätigen sich die Befürchtungen, dass Kurz (Anm. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)) versucht, den ORF unter seine Kontrolle zu bekommen. Medien- und demokratiepolitische Fragen und Pressefreiheit interessieren ihn nicht", so SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried in einer Aussendung.

Das Gezerre rund um die ORF-Wahl zeige Reformbedarf auf, hielt NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter in einer Aussendung fest. Die Bestellung der Leitung müsse auf neue, transparente und unpolitische Beine gestellt werden. "Die Frage nach der Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ist zu wichtig, als dass wir sie dem System Kurz überlassen dürfen", so Brandstötter. Die NEOS fordern eine Gremienreform.

Wir haben die vier maßgeblichen Bewerber der ORF-Wahl in Kurzinterviews befragt: Was streamt Roland Weißmann? Wo will Thomas Prantner sparen? Welche Note gibt Alexander Wrabetz dem ORF? Und was erwartet sich Lisa Totzauer von ORF III?

Nennen Sie bitte drei Werte, die Ihre ORF-Führung ausmachen würden.

Wrabetz: Unabhängigkeit, Leadership und Zukunft. Ich habe gezeigt, dass ich den ORF führen kann und weiß, wohin die Reise gehen muss.

Weißmann: Ich bin bekannt für meine Handschlagsqualitäten. Ich treffe Entscheidungen und stehe dazu.
Ich möchte Verantwortung übernehmen - aber auch abgeben. Es gilt, zu ermächtigen. Und Transparenz braucht es, um den notwendigen Kulturwandel zu schaffen. 

Totzauer: Offenheit, Transparenz und Klarheit.

Prantner: Unabhängigkeit, Reformgeist, Transparenz.

Welche ORF-Sendung sehen Sie am häufigsten?

Wrabetz: Sicher die "ZiB“ und die anderen hervorragenden Info-Formate in unseren Radios und online.

Weißmann: Ich starte meinen Morgen mit den Ö1-Journalen in der Früh, untertags ist ständig orf.at offen, am Abend dann natürlich ZIB1 und ZIB2. Und natürlich bin ich bei den großen Sport-, Kultur- und Unterhaltungs-Events dabei, ebenso bei den Premieren unserer österreichischen Fiktion. 

Totzauer: Zeit im Bild.

Prantner: Alle Zeit im Bild-Sendungen und Fußball-Übertragungen, zumeist auf der ORF-TVthek.

Welche Finanzierung wünschen Sie sich für die Zukunft des ORF?

Wrabetz: Die Finanzierung durch die Allgemeinheit stellt sicher, dass der ORF seinen Auftrag, Programm für alle zu machen, erfüllen kann.

Weißmann: Eine solide Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist in Zeiten des Vertrauensverlustes in die Medien notwendig, damit der ORF seinen Auftrag im Sinne seines Publikums bestmöglich erfüllen kann. Der ORF wird sich weiterhin über Programmentgelte und Werbeeinnahmen finanzieren. Hier ist mir vor allem die Schließung der Streaminglücke eine Anliegen, auch um zu gewährleisten, dass die Gebührenzahler nicht übervorteilt werden.

Totzauer: Eine gesicherte, als Mischform zwischen Gebühren und Werbung und möglichst frei von tagespolitischem Einfluss.

Prantner: Beibehaltung der dualen Finanzierung Gebühren ("Programmentgelte“) und Werbung.

Braucht es ein eigenes TV-Jugendangebot, analog zu Funk (ZDF & ARD)?

Wrabetz: Wir werden auf die Jungen noch gezielter zugehen und zwar vor allem online und in den Sozialen Netzwerken, dort, wo sie unseren Content suchen.

Weißmann: Wir brauchen verstärkt frische Inhalte für die jungen, diversen Zielgruppen in Österreich. Das Funk-Netzwerk hat durch Kooperationen in kurzer Zeit bereits viel erreicht, wir werden einen ähnlichen Weg gehen.

Totzauer: Ich denke immer zuerst an den Inhalt, und dieser muss auch sein Publikum erreichen. Dass muss in Zukunft auch bei den Jungen gelingen.

Prantner: Es braucht eine Innovationsoffensive für TV und Digital, um die Jungen beim ORF halten oder zum ORF bringen zu können.

Digitalisierung und Modernisierung kosten: Wo kann im Gegenzug gespart werden?

Wrabetz: In den Strukturen und durch Vermeidung von Doppelgleisigkeiten. Die neue multimediale Form des Produzierens wird den ORF noch effizienter und vielfältiger machen. 

Weißmann: Natürlich entstehen durch die anstehende Transformation des ORF zum modernen Plattformunternehmen zusätzliche Kosten - insbesondere beim multimedialen Newsroom und beim ORF-Player. Allerdings bietet die Digitalisierung der Arbeitsprozesse auch ein großes Einsparungspotential. Digitaliserung und Modernisierung fungieren daher bei dem Aufbau von neuen Strukturen und Produkten als Kostentreiber und gleichzeitig wirken sie kostensenkend bei der Modernisierung bestehender Arbeitsprozesse.

Totzauer: Es geht nicht primär um Sparmaßnahmen sondern um den gezielten und effektiven Budgetmitteln die uns zur Verfügung stehen.

Prantner: Bei den Strukturen, bei der jahrzehntelang gewachsenen Aufbau- und Ablauforganisation und bei der Anzahl von Führungsfunktionen.

Thema Pluralismus: Welche Maßnahmen würden Sie setzen?

Wrabetz: Pluralismus ist eine unserer Stärken und wird durch die neue Führungsstruktur im Newsroom ausgebaut. Zentralismus wird es bei mir keinen geben.

Weißmann: Starke, unabhängige Sendungsteams und journalistische Teams aus Experten und Allrounder werden für Vielfalt und Qualität im neuen multimedialen Newsroom stehen. Die weisungsfreie Chefredaktion garantiert die Unabhängigkeit, Objektivität und Binnenpluralismus. 

Totzauer: Durch möglichst viele, diverse und starke Redaktionsteams.

Prantner: Im neuen multimedialen Newsroom keinen zentralen Chefredakteur, sondern jeweils eine/n eigene/n Chefredakteur/in für TV, Radio und Online einzusetzen.

Wie viele lineare TV-Sender wird der ORF 2027 haben?

Wrabetz: Vier, wenn es nach mir und den Wünschen des Publikums geht. Alle Sender unserer Flotte sind wichtig und sollen sich weiterentwickeln.

Weißmann: Unsere Flotte ist in ihrer Gesamtheit stark, ich gehe davon aus, dass wir gleichviele lineare Kanäle haben und zusätzlich mehr digitale Channels. 

Totzauer: So viele wir benötigen um die gesamte Österreichische Bevölkerung zu erreichen.

Prantner: Ich hoffe mindestens Vier, darunter ein Sport-Vollprogramm.

Welche Reformen braucht der Jugendsender FM4?

Wrabetz: FM4 erfüllt seinen Auftrag sehr gut. Eine Weiterentwicklung in der Positionierung wird es geben.

Weißmann: FM4 ist eine zentrale Marke des ORF und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Ich sehe hier großes Potential, die Stärken von FM4 auszubauen und zusätzlich die Marke noch stärker in der jungen, digitalen Online-Welt zu positionieren. 

Totzauer: FM4 muss breiter, digitaler und jünger werden.

Prantner: Keine radikalen, da FM 4 ein hervorragend gemachtes Radio ist. Eine sanfte Weiterentwicklung von einem Spezialradio in Richtung reichweitenstarkes, massentaugliches Musik-Programm könnte eine Verjüngung und damit eine Stärkung der Radioflotte des ORF mit sich bringen. 

Welche Serie eines Streamingdienstes würden Sie empfehlen?

Wrabetz: Ich empfehle unsere hervorragenden eigenen österreichischen Serien. Wir investieren bis 2024 jährlich 100 Mio. Euro in österr. Produktionen.

Weißmann: Privat nutze ich aktuell Netflix, switche aber so wie die meisten Abonennten oft zwischen den verschiedenen Anbietern. Zeit zum Binge-Watchen hatte ich in letzter Zeit leider nicht wirklich, zuletzt hat mich die Krimi-Serie “Follow the Money" aus Dänemark begeistert.

Totzauer: "The Crown".

Prantner: “Haus des Geldes", "House of Cards", “Designated Survivor".

Soll der ORF sein Archiv für Privatsender öffnen?

Wrabetz: Ja, wir planen eine verstärkte Kooperation mit privaten Medien in bestimmten Bereichen, um sie zu unterstützen und den Mehrwert für das Publikum zu erhöhen.

Weißmann: Ich bekenne mich zur Kooperation mit den österreichischen privaten Medienunternehmen, damit wir gemeinsam ein Gegengewicht zu den großen internationalen Playern bieten können.  In diesem Zusammenhang ist eine “Öffnung" des Archivs in bestimmten Programmbereichen und zu bestimmten Zwecken denkbar. Entscheidender werden meiner Meinung nach gemeinsame medienübergreifende Content- und Plattformkooperationen sein.

Totzauer: Wenn wir dadurch eine österreichischen Schulterschluss gegen die internationale Konkurrenz schaffen gerne.

Prantner: Mit Sicherheit nicht als "Selbstbedienungsladen ohne an der Kassa zu bezahlen“, wie es GD Wrabetz einmal völlig zurecht gesagt hat. Das multimediale Archiv des ORF ist ein Herzstück des Unternehmens, ein großer ideeller Schatz und von großem materiellem Wert, und darf nicht als "Basarware“ oder "Spielball“ für kommerzielle Interessen in- oder ausländischer Mitbewerber quasi "privatisiert“ werden. Vorstellbar ist, unser ORF-Archiv für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, etwa für Zeitgeschichte oder Filme, zu öffnen – unter Einhaltung lizenz- und urheberrechtlicher Verpflichtungen.

Wie soll die Führungsstruktur des Multimedialen Newsrooms aussehen?

Wrabetz: Kollegial und weiblicher. Unabhängigkeit, Vielfalt und Pluralität werden sichergestellt und der Frauenanteil in den Leitungsfunktionen erhöht.

Weißmann: Mit diesem Thema müssen wir sehr behutsam umgehen, da  hier zwei wichtige Kernbereich des ORF berührt sein: die Unabhängigkeit und die Objektivität. Entscheidend ist, dass wir eine Struktur schaffen, die ein Durchgriffsrecht einer einzelnen Person verhindert und für einen lebhaften Binnen- und Meinungspluralismus sorgt. Es wird also unter mir keinen zentralen Chefredakteur geben.

Totzauer: So dass eine unabhängige, objektive und vertrauenswürdige Information gewährleistet wird.

Prantner: Aus meiner Sicht ist es zwingend notwendig, dass im Rahmen der Neuorganisation Meinungsvielfalt und Binnenpluralität abgesichert sind und die redaktionellen Entscheidungen für die Medien TV, Radio, Online und TELETEXT jeweils unabhängig voneinander fallen. Aus diesem Grund ist die Einführung eines/r Zentralen Chefredakteur/in, der/die über alles im Alleingang auf Knopfdruck für alle Medien, für alle Sendungen, für alle Video-, Audio- und Textangebote bestimmen kann, nicht zu befürworten. Statt einer zentralen "Ein-Personen-Führung“ sollte im neuen multimedialen Newsroom im Sinne einer übersichtlichen, klaren und pluralistischen Struktur, eine "Chefredaktion“ etabliert werden, die aus drei gleichberechtigten Chefredakteurinnen bzw. Chefredakteuren besteht: eine/n CR für alle TV-Informationssendungen, eine/n CR für alle bundesweit ausgestrahlten Radionachrichten und -journale und eine/n für alle Online- und Teletextangebote.

Wie hoch schätzen Sie die Chancen ein, ab 2022 ORF-Chef/Chefin zu sein bzw zu bleiben?

Wrabetz: Hoch, wenn in der Sache entschieden wird. Wir haben in den letzten 15 Jahren gut gearbeitet. Der ORF ist Marktführer und steht wirtschaftlich gut da.

Weißmann: Ich bin optimistisch, weil ich für mein Konzept und meine Ideen von vielen verschiedenen Seiten sehr gutes Feedback erhalten habe.

Totzauer: Das entscheiden am 10. August 35 unabhängige StiftungsrätInnen im Interesse unseres Publikums und nach den Buchstaben des Gesetzes.

Prantner: Jede Veränderung ist eine Chance.

In welchen Bereichen muss sich ORF III verändern?

Wrabetz: ORFIII hat sich, seit ich es 2011 gegründet habe, hervorragend entwickelt und ist eine Erfolgsgeschichte. Diesen Weg gehen wir weiter. 

Weißmann: Ein klares “Sehr gut" - und um die gleiche Note auch in fünf Jahren zu haben, werden wir uns gemeinsam anstrengen, und dann wird es auch in fünf Jahren die gleiche Bewertung geben. Das ist das Ziel. 

Totzauer: ORF III bietet phantastisches Informations- und Kulturprogramm – davon möchte ich mehr.

Prantner: ORF III ist ein ausgezeichnet gemachter Informations- und Kulturspartenkanal. Ich würde das Informationsangebot ausbauen, vor allem mit Liveübertragungen von internationalen und nationalen politischen Ereignissen. Eine weitere wichtige Programmaufgabe von ORF III wäre es, sich dem Thema Volksgruppen in Österreich verstärkt anzunehmen, etwa durch eine neue österreichweite, wöchentliche, halbstündige TV-Volksgruppensendung.

Wenn Sie den Zustand des ORF bewerten würden, welche Schulnote bekäme er?

Wrabetz: Eins+. Der ORF ist einer der erfolgreichsten Öffentlich-rechtlichen in Europa. Mein Konzept für die nächsten Jahre stellt sicher, dass das so bleibt.

Weißmann: Ein klares “Sehr gut" - und um die gleiche Note auch in fünf Jahren zu haben, werden wir uns gemeinsam anstrengen, und dann wird es auch in fünf Jahren die gleiche Bewertung geben. Das ist das Ziel. 

Totzauer: Gut – und ich möchte mit der Belegschaft am sehr gut arbeiten.

Prantner: Einen Zweier.