Thema im neuen Berliner "Tatort" (ARD & ORF 2, 20.15 Uhr) – dem letzten vor der Sommerpause – sind Wohnungsnot und unredliche Immobilienspekulation. Wie nehmen Sie das reale Problem wahr, Frau Becker?
MERET BECKER: Meine Kiezbuchhandlung Kisch&Co in Kreuzberg wird grade rausgeklagt. Viele meiner Freunde haben SO36 verlassen müssen. Ich selber war rund 25 Jahre lang in Kreuzberg 36 zuhause und es hat mich rausgetrieben. So geht eine Gemeinschaft, ein Kiez kaputt, weil Menschen, die das eigentlich schön fanden und daran Teil haben wollten, es plötzlich "attraktiv" machten. Und dann kamen andere, die damit Kohle machten und alles ist hin, lieber Augustin.

Spielt man lieber in einer "Tatort"-Episode, die so brennende gesellschaftliche Themen anspricht? Wo es für die ZuschauerInnen eventuell auch einen Reflexion- und Lerneffekt gibt?
Man kann beim Tatort eine Menge an Zuschauern und in einer Diversität erreichen, die ihres gleichen sucht. Das ist durchaus eine Chance, die Freude macht, wenn man sie nutzen kann. Es bleibt aber immer ein Versuch und ein Krimi.

Die meisten Film- und Fernsehproduktionen versuchten im letzten Jahr Corona zu verbergeben – im "Tatort" ("Die dritte Haut") ging man anders vor: Man sieht Menschen mit Masken, Corona wird auch erwähnt. Was war die Überlegung dahinter?
Norbert ter Hall hat eine sehr schnelle fragmentarische Inszenierung gewählt, die Zufälle und Improvisation zuließ. Um ein Straßenbild in Corona-Zeiten Corona-frei abzubilden, bräuchte es einen Aufwand, der dieser Arbeitsweise widerspräche. Ein Film kann auch mal eine Momentaufnahme sein, ein Dokument.

Nina Rubin hat die Maske, wenn sie in Szenen eine bei sich hat, meistens von einem Ohr baumeln. Eine Widerstandsgeste einer widerständigen Figur?
Die Masken sind natürlich ein Hindernis beim Lesen eines Gesichtes. Wir haben versucht sie so einzusetzen, dass die Situation klar ernst zunehmen ist und trotzdem möglichst viele Gelegenheiten gesucht, um sie abzunehmen, damit unsere Mimik sichtbar ist. Nina Rubin hatte zu jeder Zeit eine Maske dabei. Ich persönlich finde Masken-nicht-tragen nicht besonders rebellisch, sondern je nach Situation unangebracht bis respektlos.

Die Kälte der Debatte manifestiert sich in der Sprache: "Verwertungshemmnis" heißen Mieter, die man gerne los würde. Das Ziel ist die "Luxussarnierung". Wie kommt man aus diesem Reden und Tun wieder heraus?
Ich bin in keinster Weise Spezialist für dieses komplexe Thema. Aber soweit ich weiß, ist wohnen ein Menschenrecht. Kapitalismus ist in Dingen, die die Menschenrechte angehen, eben höchst unanständig. Verwertungshemmnis kannte ich nicht und es ist ekelhaft so über einen Menschen zu sprechen. Hingegen gibt es viele kluge, sogar schöne Ideen für ein diversen Miteinander-Wohnen in Stadtzentren. Ich hoffe, dass die wahrgenommen werden. Bis dahin muss man sich weiter wehren und Verbesserungskonzepte einfordern, hilft ja nischte.

2022 werden Sie als Kriminalhauptkommissarin Nina Rubin aus der "Tatort"-Welt Abschied nehmen. Hat man Ihnen darüber gesprochen, wie der Abschied aussieht, was mit Rubin passiert?
Jep. Ich durfte mir was wünschen und dann kam alles anders. Ich fand’s gut, bald legen wir ein Ei.

Hatten Sie Präferenzen, wie der Abschied aussehen soll?
Der Abschied sollte sich in jedem Falle ins Zeug legen und in Schale schmeißen! Und danach heißt es wieder, Singen hat viel mit Vögeln zu tun.

Ihr Abschied wurde schon 2019 öffentlich. Wessen Wunsch war es, dass Ihre "Tatort" trotzdem noch 2-3 Jahre weiterging?
Ich hatte meinen Ausstieg erbeten und natürlich mit genügend Zeit, um ihn vorzubereiten. Ich hätte es toll gefunden, Nina
einfach im Film zu verabschieden, ohne Ankündigung. Aber von Redaktionsseiten wurde befürchtet, dass etwas duchsickert, spätestens wenn nach einer Nachfolgerin gesucht wird und dass das einen unguten Beigeschmack hätte. Deshalb haben sie das sofort und somit früh bekannt gegeben. Das kann ich nachvollziehen. Ich hätte allerdings hammerhart gelogen, wenn irgendwas publik geworden wäre und mich danach an der Überraschung gefreut. Das ist ein Unterschied zwischen den Verantwortlichen und der Spielerin.

Sie haben gemeinsam mit zahlreichen KollegInnen an der Aktion #Allesdichtmachen teilgenommen und ihr Video bald wieder entfernt. Wie bilanzieren Sie diese Aktion, was ist Ihr Resümee?
Ich finde es wichtig und richtig, über die Maßnahmen, die
Auswirkungen derer und den Umgang mit Corona zu diskutieren,
auch zu streiten. Auch wenn sich alle einig sind, dass das für alle
Entscheider*Innen neu und hart ist.. Es wurde aber zunehmend
immer verpönter und war möglichst zu unterbinden. Deshalb habe ich an der Aktion teilgenommen. Die Form der Videos liegt mir aber nicht. Ich bin generell kein Satiriker und hätte mir einen wärmeren Protest gewünscht, der, wenn auch künstlerisch gerne versponnen, besser benennt, was gemeint ist. Deshalb habe ich zurückgezogen, als es, wie befürchtet, von vielen Menschen missverstanden wurde. Für beides gab es richtig auf die Fresse, das war schmerzhaft und schwer auszuhalten. Trotzdem habe ich jetzt den Eindruck, dass seit dem wieder mehr wird diskutiert werden darf. Im Übrigen auch über die Form wie Diskussionen geführt werden, die sich durch Social Media sehr
verändert hat, gerade zur Zeit von Corona und nach Trump. Vielleicht wird es also am Ende doch noch konstruktiv. Jetzt muss sich nur noch ganz viel ändern und dann haben alle was gewonnen. Es geht ums Klima, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Ertrinkende, Kriege, schlicht, die Rettung der Welt. Und nicht darum, ob Herr Musk Bock hat auf den Mars fliegen. Man kann das Geld auch anzünden.

Wenn Sie auf die vergangenen 15 Monate zurückblicken.
Hat es Sie überrascht, welch geringer Stellenwert den
Kulturinstitutionen und dem Kulturbetrieb in der
Coronakrise beigemessen wurde?
Ja, auch das war eindrucksvoll und schmerzhaft. Ich bin in meiner
Familie mit dem Bewusstsein groß geworden, am Ende nur ein
Hofnarr zu sein. Aber das war ein heftiger Tritt. Ich stehe trotzdem
noch und boxe weiterhin nach oben. Und apropos: Mehr Gage! -
für die Pflegekräfte und das Krankenhauspersonal.