Ein Stacheldraht, der um einen Bleistift gewickelt ist: Dieses Bild illustriert den Umschlag zum "Tag der Pressefreiheit". Ein symbolträchtiges Motiv: das freie Wort, eingezäunt von der schneidenden Schärfe staatlicher Obrigkeit. Die Stacheln verweisen nicht nur auf autoritäre Systeme wie Russland oder China. Selbst im freiheitsbewussten Europa zeigt sich, wie brüchig das Recht ist. Griechenland nahm Reporter fest, die sich in Flüchtlingslagern ein Bild machen wollten. England hält Julian Assange in einem Hochsicherheitsgefängnis fest. Ungarn stellt "Falschmeldungen" zur Pandemie unter Strafe.

Und Österreich? Die Freiheit der Presse bleibt eine robuste Säule. Entgegen alarmistischen Gesängen besteht keine Einsturzgefahr. Daran ändern auch rauschhafte Fantasien im erweiterten Bewusstseinszustand nichts. Auch nicht Klagen gegen Missliebige, sei es von Regierungsparteien oder Konzernen. In der Regel fallen sie auf den Urheber zurück und lassen ihn beschädigt zurück. Die OMV hat das gerade noch hinbekommen.

Alles sagen zu können, damit gewissen Leuten die Freiheit genommen wird, alles zu tun: Im Großen und Ganzen hält die Wirklichkeit dem Anspruch stand. Was ans Licht gehört, kommt ans Licht. Dort, wo der Schutz der Privatsphäre mit der Pressefreiheit kollidiert, sind Diskussionen über die Reglementierung der Freiheit zulässig und noch kein Hinweis auf ein repressives Klima. Soll ein Strafakt unter Verschluss bleiben, bis die Substanz eines Vorwurfs geprüft ist? Soll man privat verfasste Mitteilungen zitieren dürfen? Es sind keine illiberalen Fragen. Sie bekommen nur einen Geruch, wenn sie im Kontext eines ruchbar gewordenen Falles daherkommen.

Der Stacheldraht ist also nicht das Problem. Eher leidet die Branche unter strukturellen Fehlstellungen. Die Presseförderung, die eine Boulevardförderung ist. Der stille Deal, in die Förderungspraxis eingewoben: Geld gegen Wohlverhalten. Die schwach ausgeprägte Medienvielfalt, die mit dem Aus der "Wiener Zeitung" weiter zurückapern würde. Vor allem aber: der Zugriff der Parteien auf den ORF. Dass ein Regierungschef seit jeher über das Verlängerungskabel seiner Stiftungsräte entscheidet, wer an der größten Orgel Platz nimmt, bleibt eine Anomalie. Zu ihr gehört die Unsitte, dass in den Landesstudios jeder Chefredakteur und Landesdirektor die Zustimmung des Landeshauptmanns benötigt. Ein höfisches Relikt der Vormoderne, das Verformungen des Rückgrats stillschweigend in Kauf nimmt. Und dann wäre da noch die Beschränkung des freien Wortes von innen heraus. Der Konformismus. Der Rudel- und Lager-Journalismus. Der verinnerlichte normative Druck, was man sagen darf und was als unbotmäßig gilt. Das Ausgrenzen anderer Sichtweisen. Die Abschaffung von Karikaturen, um niemanden zu verstören. Die Kündigung, wenn man – wie bei der "New York Times" – den falschen Gastkommentar zum Druck gibt. Der Stacheldraht von innen ist so bedrohlich wie der Stacheldraht, der sich um den Bleistift wickelt.