Das ungarische Staatsfernsehen hat in einem Beitrag seiner Hauptnachrichtensendung eine österreichische Journalistin namentlich attackiert. Franziska Tschinderle vom Wochenmagazin "profil" habe EU-Abgeordnete der ungarischen Regierungspartei Fidesz "mit Fragen provoziert", hieß es. Unterstützung für Tschinderle äußerten indes die SPÖ, die Grünen, die NEOS und Reporter ohne Grenzen.

Dass Journalisten, wenn sie ihren Job machen, öffentlich an den Pranger gestellt werden, sei "ein inakzeptabler Anschlag auf die Medienfreiheit. Die Pressefreiheit gilt es in Österreich und in ganz Europa jeden Tag aufs Neue zu verteidigen. Leider ist das angesichts der autoritären Tendenzen einiger rechter und rechtspopulistischer Regierungen, die Rechtsstaat, Meinungs- und Pressefreiheit einschränken wollen, zunehmend notwendig", sagte der SPÖ-Mediensprecher Jörg Leichtfried. Er erwarte sich dazu auch vom für Medien zuständigen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) klare Worte. Der SPÖ-EU-Delegationsleiter Andreas Schieder bezeichnete die Attacken auf die Journalisten als "inakzeptabel". "Die Pressefreiheit gehört in der EU vehement und jeden Tag gegen die autoritären Kräfte verteidigt", twitterte Schieder.

"Wenn nachgefragt wird, warum Vertreter des französischen Rassemblement National und der FPÖ bei dem Treffen mit anderen rechten Parteichefs aus Europa um neue politische Kooperationen zu diskutieren nicht anwesend waren, so zeigt dies journalistische Professionalität.Die ist aber im ungarischen Staatsfernsehen nicht mehr gefragt", sagte die Grüne Kultursprecherin Eva Blimlinger. Journalistische Sorgfalt sei im von Orban gelenkten TV kein Thema mehr, erwünscht sei nur mehr Propaganda. "Ich kann nur sagen: Franziska Tschinderle, fragen Sie bitte weiter", betonte Blimlinger.

Als "zutiefst verwerflich" kritisierte die NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter die Attacken gegen die österreichische Journalistin. "Was in Orbans Staatsfunk als ,Provokation durch Fragen bezeichnet wird, nennen wir NEOS kritischen Journalismus." Jener Angriff sei beispielhaft für den voranschreitenden Abbau der Meinungs- und Pressefreiheit in Ungarn, einem Land, zu dem die österreichische Bundesregierung, allen voran Bundeskanzler Kurz, ein kritikloses Näheverhältnis pflegt, so Brandstötter.

Außenminister Alexander Schallenberg twitterte zu dem Fall:
"Kritische Fragen zu stellen, ist Kernaufgabe von Medien. Der Umgang durch #M1 mit @tschinderle ist daher unvertretbar." Er selbst habe sofort mit dem ungarischen Außenminister Péter Szijjártó telefoniert. Auch der österreichische Botschafter in Budapest, Alexander Grubmayr, werde "diese Position in aller Deutlichkeit darlegen".

Als "empörend und inakzeptabel" bezeichnete "Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich"-Präsidentin Rubina Möhring den Angriff auf die Journalistin. "Der Versuch, kritischen Journalismus über den verlängerten Arm der ungarischen Regierung - das Staatsfernsehen - zu unterbinden und ins Lächerliche zu ziehen, ist untragbar. Wir fordern eine Entschuldigung seitens des Senders", sagte Möhring.

In dem dreiminütigen Beitrag im ungarischen Staatsfernsehen wurden mehrere Screenshots von Emails gezeigt, die die Journalistin an die Fidesz-Fraktion im Europaparlament geschickt hatte. Darin ging es unter anderem um das vor einer Woche erfolgte Treffen von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán mit dem Chef der italienischen Partei Lega, Matteo Salvini, und Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bezüglich der Gründung einer neuen politischen Kooperation. Die rechtsnationale Fidesz hatte Anfang März nach längerer Suspendierung die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) verlassen.

"Amateurjournalisten"

Tschinderle hatte unter anderem gefragt, warum Vertreter des französischen Rassemblement National (RN) und der österreichischen FPÖ - die beide mit der Lega in der rechtspopulistischen ID-Fraktion des Europaparlaments sitzen - bei dem Treffen nicht anwesend waren. Der Moderator des TV-Beitrags kommentierte das mit den Worten: "Solche Fragen stellen nur Amateurjournalisten."

Das ungarische Staatsfernsehen zitierte außerdem ungenannte Experten, "nach denen das Ziel ist, bereits im Voraus das sich formierende starke europäische christdemokratische Bündnis zu attackieren". Die Fragen Tschinderles wurden von dem Moderator so interpretiert, dass wegen des Orbán-Salvini-Morawiecki-Treffens "die europäische linksliberale Presse eine beispiellose Attacke gestartet" habe.

Letztlich habe die Fidesz-Fraktion im Europaparlament eine Beantwortung der Fragen am gestrigen Mittwoch abgelehnt, da es sich bei den Anfragen der Journalistin um "keine echten Fragen" gehandelt habe, berichtete das Fernsehen. Der Beitrag schließt damit, dass nun von Tschinderle ein Artikel zu dem Thema zu erwarten sei, der die ungarische Regierung erneut "in Misskredit bringen" wolle.

Tschinderle reagierte auf die Angriffe ihrerseits mit den Worten: "Pressesprecher werden dafür bezahlt zu kommunizieren. Doch sie haben die Fragen nicht beantwortet, sondern an ein (der ungarischen Regierung, Anm.) sehr stark nahestehendes Medium weitergeleitet." Sie habe den Eindruck, dass der Fall auch im "kritischen Lager" in Ungarn als "Zäsur" wahrgenommen worden sei, weil nun bereits "das reine Stellen von Fragen" an den Pranger gestellt werde. Die Journalistin sieht es nun am wichtigsten an, "dass Journalisten und Journalistinnen gemeinsam Flagge zeigen. Das betrifft nicht nur mich", so die "profil"-Mitarbeiterin. Sie erinnerte: "Ungarischen Kollegen passiert das jeden Tag."