Es scheint sich immer mehr zur beliebten Serienspielwiese zu etablieren: das Viktorianische Zeitalter. Wobei sich die sittenstrenge Zeit im Großbritannien des 19. Jahrhunderts in diesen Tagen wie eine gigantische Bühnenshow ausnimmt. Jeder ordnet und verschiebt die Kulissen, wie er gerade will und fügt noch das eine oder andere hinzu, das ziemlich sicher nicht aus der Zeit kommt und schon gar nicht in die Zeit passt. Sei es drum. Einer ist jedoch dabei, der zum Fixinventar der Zeit gehört: Sherlock Holmes. Wobei der Meisterdetektiv in einer höchst ungewöhnlichen Rolle zu sehen ist – nämlich lange Zeit gar nicht. Wobei, so ganz stimmt das nicht: Man sieht Fragmente eines Mannes, die dem Klischee des straighten Detektivs völlig zuwider laufen. Punkt für die Serie. Er kotzt sich die Seele aus dem Leib, fiedelt ein bisschen auf der Geige und ist ganz grundsätzlich ein Schatten seiner selbst. Nicht unsympathisch, hier gleich eine 180-Grad-Wendung einzulegen. Der ansonsten eher untertänige Assi namens John Watson gibt hier einen höchst undurchsichtigen Filou.

Und da wäre noch ein weiteres Erfolgsrezept, das man in "Die Bande aus der Baker Street" ("The Irregulars") umgesetzt hat: Man nehme eine Gruppe Jugendlicher und steckt sie in die Ermittlerrolle. Mit "Stranger Things" fährt Netflix hier ja bestens, aber das Konzept hat sich seit jeher bewährt – Stichwort: "Fünf Freunde". In der Serie sind es fünf Jugendliche, die in einem Keller hausen und sich mit Kleinkriminalität über Wasser halten. Unter dem Radar fliegende, dienstbare Geister, die sich beinahe unsichtbar durch die Untiefen der Gosse bewegen. Das detektivisch erfolglose Duo Holmes & Watson beherrscht die klassische Management-Volte – scheine selbst und lass andere die Drecksarbeit machen – perfekt. Die Bande aus der Baker Street macht im wahrsten Sinne für die feinen Herren die Drecksarbeit. Wobei die Verbrechen ziemlich schnell ausarten und – eine weitere erfolgreiche Zutat aus der Algorithmus-Wundertüte – eine scheinbar unheimliche Macht ihre Finger im Spiel hat. Ein dunkel-düsterer Reigen aus Gewalt, Okkultismus und Mythos-Klimbim, wie er in dieser Zeit üblich war.

Die fünf ErmittlerInnen folgen dem Castingschema, das wir schon von "Bridgerton" her kennen: Eine höchst sympathisch diverse Gruppe, angeführt von der 17-jährigen Bea. Deren Schwester Jessie verfügt über seherische Kräfte – für John Watson übrigens das wichtigste Auswahlkriterium. Gruppendynamisch perfekt ausbalanciert hätten wir ob all der jugendlichen Problemstellungen - hin bis zu romantischen Gefühlen – alle Bedürfnisse abgedeckt. Die Anführerin mit Selbstzweifeln, die Zartbesaitete, um die sich alle Sorgen machen, die aber zur Höchstform aufläuft. Der Entertainer, der Witz in die das düstere Szenario bringt, der Leise, der unverzichtbar für die Gruppe ist, und natürlich das Superhirn. Leo kommt nicht aus der Gosse, sondern vom anderen Ende der Nahrungskette, denn er ist eigentlich Prinz Leopold, das achte Kind von Prinzessin Viktoria höchstselbst. Im echten Leben wie in der Serie an der Bluterkrankheit erkrankt. Er schließt sich unerkannt dem Quartett an.

In Summe ergibt sich so ein schräges Sammelsurium, wo irgendwie alles seinen Platz findet. Logiker kriegen vermutlich Gänsehaut, aber zwischen Himmel, Hölle und Drehbüchern ist bekanntlich alles erlaubt. Hier geht es vorrangig um Entertainment für eine Zielgruppe (die gar nicht so klein ist) die Schräges, Unheimliches, Okkultes, Düsteres und schwere Samtvorhänge mag. Rasante Unterhaltung mit sympathischen Protagonisten und opulenter Ausstattung. Das ist doch gar nicht so wenig, oder?

"Die Bande aus der Baker Street" ist auf Netflix zu sehen.