Inzidenzzahlen, exponentielles Wachstum, Intensivbettenauslastung oder Aerosolbelastung. Es sind nackte Zahlen und unvertraute Begrifflichkeiten, die seit einem Jahr im Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung stehen. „Wir leben in einer Zeit, in der wir über ein Thema wahnsinnig viel erfahren und wahnsinnig wenig wissen“, sagt Fritz Dittlbacher, ehemaliger ORF-Chefredakteur, der heute im Rahmen von „Menschen & Mächte“ seine zweite Dokumentation vorlegt.

Ein Film, der den Menschen zurück in den Mittelpunkt holen soll: „Ich wollte gerne die Gefühlslandschaft Österreichs vermessen“, erklärt der 57-Jährige das Motiv hinter der Produktion. Über zwölf Monate begleitete der Ehemann von ZiB-Moderatorin Lou Lorenz-Dittlbacher sechs Personen durch das herausfordernde Jahr: Eine Fremdenführerin, die plötzlich ohne Aufträge dasteht und vergeblich versucht, sich beruflich neu zu orientieren. Oder einen Sozialarbeiter, der feststellt, wie sich im Laufe des Jahres die Fragen und Bedürfnisse durch das ansteigende Prekariat verändern. Oder den Geschäftsführer eines Wiener Traditionsunternehmens, der beim ersten Interview noch von 600 Angestellten spricht, beim zweiten von 250 und beim dritten erzählt, dass sein „Hotel de France“ gerade seine letzten Angestellten entlässt und erst in einigen Jahren wieder aufsperren werde. Ein schwieriges Jahr erlebte auch ein ehemaliger Kellner, dem als gesundheitlich angeschlagener Mindestpensionist wenig anderes übrig blieb, als zu Hause auf das Ende der Pandemie zu warten.

Es bleibt die Verunsicherung

Wer hat noch Lust, sich nach diesem nervenzehrenden Jahr auch noch abends im Fernsehen mit Corona zu befassen? „Menschen interessieren sich für Menschen“, erklärt Dittlbacher: „Es ist eine Geschichte, wo ich Leute kennenlerne und sie auf ihrem Weg begleite, das interessiert die Menschen noch am ehesten.“ Als bleibende Folge dieses Jahres vermutet der gebürtige Oberösterreicher die Verunsicherung: „Wir haben bisher in einer Zeit gelebt, in der alles möglich schien.“ Dieser Eindruck sei zumindest vorerst vorüber.

Passend zur Doku überträgt ORF 2 im Anschluss um 22.30 Uhr live aus der TU Wien ein „Philosophisches Forum“ zum Thema „Zeigt Corona, wie wir wirklich sind?“. Die Gastgeber Konrad Paul Liessmann und Barbara Stöckl begrüßen als Gäste unter anderem den Historiker Philipp Blom, die Politologin Ulrike Guérot und die Soziologin Laura Wiesböck.