Grundsätzlich ist es bei Anna Wintour, der Chefin der US-Vogue, wie mit Queen Elizabeth II.: Man erklärt sich in der Öffentlichkeit einfach nicht. Wenn sie also höchstpersönlich ausrückt, handelt es sich um Alarmstufe Rot. Aktuell kämpft sie noch immer mit den Nachwehen der Aufregung, die ihr das Vogue-Cover von Kamala Harris eingebracht hat. Das Bild, das die US-Vizepräsidentin in T-Shirt, Blazer, Jeans und Converse zeigt, war vor allem im Netz der große Aufreger: Vielen war es zu wenig staatstragend. Um die Wogen zu glätten, gibt es jetzt eine Sonderausgabe mit jenem Bild, das sie im seriösen blauen Hosenanzug zeigt.

Und gerade einmal ein halbes Jahr ist her, dass sich Wintour in einem internen Mail dafür entschuldigte, dass die Vogue nicht genug Wege fand, „um schwarze Redakteure, Autoren, Fotografen, Designer und andere Kreative zu erheben und ihnen Raum zu geben“. Das war freilich inmitten der Black-Lives-Matter-Proteste, und nicht alle haben der mächtigsten Frau der Modeindustrie dieses Schuldeingeständnis auch abgenommen. Wer, wenn nicht sie, hätte hier seit Jahrzehnten Maßstäbe setzen können?

Ausgabe der aktuellen US-Vogue: das rechte Cover sorgte für Aufregung
Ausgabe der aktuellen US-Vogue: das rechte Cover sorgte für Aufregung © (c) AFP (TYLER MITCHELL)

Etwa zur gleichen Zeit wurde der Chefredakteur der britischen Vogue, Edward Enninful, auf seinem Weg ins Büro von einem Securitymitarbeiter angewiesen, doch bitte künftig den Lieferanteneingang zu nehmen. Den Vorfall macht er auf seinem Instagram-Account öffentlich: „Manchmal ist es ganz egal, was du in deinem Leben erreicht hast: Das Erste, wonach Menschen dich beurteilen werden, ist deine Hautfarbe.“ Das sind die zwei Enden des Vogue-Universums, die gut die Entwicklung der Welt nachzeichnen: Die einen behüten im Elfenbeinturm ihre Welt, während die anderen um die realen Entwicklungen in der Welt wissen und sie ernst nehmen.

Nicht umsonst war der aus Ghana stammende Brite Enninful im September auf dem Cover des Time Magazine – als einer, der den Finger am Puls der Zeit hat. Und auch wenn es die Vogue ist, heißt es nicht automatisch, dass hier nur von Mode die Rede ist. 2017 übernahm der heute 48-Jährige die britische Ausgabe von Alexandra Shulman. Als erster Mann, der eine der 26 internationalen Vogue-Ausgaben leitet. Mit ihm zog Diversität nicht nur in die Redaktionsstube, sondern auch ins Heft ein.

Herzogin Meghan durfte eine ganze Ausgabe gestalten, mit Prince Charles plauderte er über Nachhaltigkeit und im Juli 2020 lächelten Heldinnen der Coronakrise, darunter eine Krankenschwester, vom Titelblatt. Einen Monat zuvor war noch Schauspielerin Judi Dench auf dem Cover – mit ihren damals 85 Jahren die bislang älteste Frau auf dem Titelblatt einer Vogue. Die Neuausrichtung macht sich bezahlt: Die Printauflage und die Onlinezahlen der Ausgabe steigen. Das macht beim zuständigen Medienkonzern Condé Nast Eindruck: Enninful wurde im Dezember zum redaktionellen Leiter aller europäischen Ausgaben ernannt.

Doch die Konkurrenz ist übermächtig und sie ist digital, denn die Marktmacht der Influencer, mit denen man sich längst die Frontrows bei den Modeschauen teilen muss, ist gigantisch. Nirgendwo kann man Werbung an die Zielgruppe der Modeinteressierten besser und zielgerichteter ausspielen als auf Instagram. Die digitale Modewelt, sie schreibt Erfolgsgeschichten, darunter jene des Kanadiers Imran Amed. Was 2007 auf einer Couch in London begann, ist heute weit mehr als nur ein Modebusinessnewsletter namens „The Business of Fashion“ mit mehr als 500.000 Abonnenten – es ist eine Businessgröße. Die Vogue, sie kann sich warm anziehen, aber bitte kein Echtpelz, wenn geht.