Die Tage, als alle relevanten Social Media-Kanäle den US-Präsidenten verbannten, werden das Gesicht der Netzwerke verändern. Den mächtigsten Politiker von den mächtigsten Neuen Medien zu isolieren, ist unabhängig von rechtlichen und gesellschaftspolitischen Implikationen in der westlichen Welt einmalig. Wer diese Sperren als medialen Nebenschauplatz abtut, hat noch immer nicht verstanden, wie grundlegend Konzerne wie Facebook, Twitter oder YouTube (Google) den öffentlichen Diskurs nicht nur abbilden, sondern mitgestalten.

Am Ende war es nicht mehr als ein später PR-Stunt, den Twitter-Chef JackDorsey vollzog. Trumps Ankündigung, nicht an der Inauguration teilnehmen zu wollen, genügte als sprichwörtlicher letzter Tropfen, um das Fass überlaufen zu lassen. Anlässe, ihn zu sperren, hätte es früher und nachvollziehbarere gegeben: Jahrelang ließ man den Präsidenten wüten, spalten, agitieren und mit nachweislichen Fake News hantieren. Knapp 30.000 Falschnachrichten sollen es laut „Washington Post“ seit 2017 gewesen sein.

Ein Gericht im Silicon Valley

Trump ist die Speerspitze. Nicht nur einer amerikanischen nationalistischen Bewegung, sondern als Causa auch der Frage, wie soziale Medien mit der Verantwortung ihrer Macht umgehen sollen. Am Ende entscheiden aktuell weitgehend die Privatunternehmen nach ihrer eigenen Verfassung – den Nutzer-Richtlinien – über die Legitimität von Postings. Wenn die Gerichtsbarkeit derart ins Silicon Valley verlegt wird, steht die Demokratie vor der Bankrotterklärung. Und die Fragen sind legitim: Wie wird die Welt auf die nächste und die übernächste Sperren reagieren? Und wen treffen sie?

Die „Extremisten-freundlichen“ Alternativen

Nicht erst am Kapitol wurde Online-Hetze zu Offline-Gewalt. Bevor 2018 ein Attentäter in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen tötete, konnte er seinen Judenhass auf „Gab“ zuspitzen. „Extremisten-freundlich“ wurde die Plattform von der New York Times genannt. Andere sagen „Twitter für Rassisten“ dazu. Heute und insbesondere nach dem vorläufigen Aus für den Konkurrenzdienst „Parler“ boomt „Gab“ und bietet jenen eine neue virtuelle Heimat, die auf den großen Plattformen unerwünscht sind.

Deren Zensurvorwurf gegen Twitter und Facebook erweist sich jedoch oft als zynisch: Die weitgehende Toleranz von Hass und Hetze macht eine Plattform noch nicht zum Vorreiter der freien Rede. Auch die Leugnung des Holocausts, Hass oder Mobbing haben nichts mit dem Menschenrecht auf Meinungsfreiheit zu tun, das wiederum nicht den Artikel 2 der Erklärung der Menschenrechte außer Kraft setzt: das Diskriminierungsverbot.

Auch die traditionellen Medien müssen aus den jüngsten Entwicklungen lernen. „Facebook und Co.“ ist eine Verknappung, die bewusst gewählt sein will. Die häufig dumpfe pauschale Verurteilung hilft letztlich jenen, die kein Interesse an transparenten, sich der Rechtsstaatlichkeit unterwerfenden Plattformen haben.