Die Pandemie habe eines bestätigt, mahnte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Montagabend bei der Preisverleihung: „Die liberale Demokratie braucht unabhängige Medien und Journalisten, die sich nicht einschüchtern lassen.“ In der Wiener Hofburg ausgezeichnet wurden Petra Stuiber, stellvertretende „Standard“-Chefredakteurin, mit dem Kurt-Vorhofer-Preis, und ORF-Journalistin Ulla Kramar-Schmid mit dem Robert-Hochner-Preis. Der Vorhofer-Preis wird im Gedenken an den langjährigen Leiter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung vergeben.

Ulla Kramar-Schmid attestierte, dass die Politik auch in Europa den Pfad verlassen habe, sich für unabhängigen Journalismus stark zu machen. Dazu zähle das Feind-Freund-Denken der Politiker oder an der schlechteren Position Österreichs im Presserat-Ranking. Kramar-Schmid betonte in ihrer Preisrede: „Nur transparente Vorgänge garantieren einen gesunden Staat.“

Ulla Kramar-Schmid erhielt den Robert-Hochner-Preis
Ulla Kramar-Schmid erhielt den Robert-Hochner-Preis © (c) Peter LECHNER

Petra Stuiber zog bei ihrer Preisrede Bilanz über den Zustand des Journalismus im Coronajahr und mahnte ein, dass Medien finanziell in der Lage sein müssen, ihrer Verantwortung, die Machthabenden unabhängig zu kontrollieren, gerecht zu werden: "Es geht darum, dass hochwertiger Journalismus überlebt." Hier Stuibers Rede im Wortlaut:

"Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Familie!

„Das Virus ist eine demokratische Zumutung.“ Das sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Corona-Pandemie. Das stimmte damals, und das stimmt heute. Man kann Merkel gar nicht oft genug zitieren, und man kann ihr nicht oft genug zustimmen.

Das heurige Jahr war herausfordernd und anstrengend – ich sage das als Journalistin. Und ich sage das als berufstätige Mutter von zwei Schulkindern. 2020 war ungewöhnlich, beunruhigend, manchmal sogar unheimlich. Es gab Tage, da wusste man nicht genau, wie das alles weitergehen würde, viele Menschen machten sich viele Sorgen.

Aber trotz allem war und ist 2020 ein sehr gutes Jahr für den Journalismus.

Diese Behauptung wird Sie vielleicht überraschen. Ich kann sie erklären. Noch nie, seit ich im Journalismus tätig bin, waren wir offenbar so wichtig für die Menschen in diesem Land. Noch nie haben sich so Viele über unsere Websites informiert, unsere Zeitungen gelesen und förmlich verschlungen, unsere Videos angeschaut, unsere Podcasts angehört. Wir haben noch nie so viele Menschen über so viele unterschiedliche Kanäle mit Informationen versorgen können wie in diesem Jahr.

Es war nicht immer leicht, das Informationsbedürfnis der Leserinnen und Leser zu erfüllen – und es wurde uns nicht leicht gemacht. Die staatspolitische Verantwortung, mit der kritische und äquidistante Qualitätsmedien, auch "Der Standard", zu Beginn der Pandemie die rigorosen Maßnahmen der Regierung erklärten und zur Einhaltung derselben aufriefen, haben einige in der Politik gründlich missverstanden. Manche glaubten fortan, uns mit einer Art von ex-cathedra-Verkündigungskommunikation abspeisen zu können. Ein Feuerwerk an täglichen Pressekonferenzen wurde entfacht, man deckte uns zu mit Ankündigungen und Verlautbarungen ein. 59 Medienbetreuer allein im Bundeskanzleramt – mehr als es Journalisten in manchen Redaktionen gibt - arbeiteten auf Hochtouren an Verlautbarungen, schnellen Statements, selektiv vergebenen Info-Häppchen. Man hatte manchmal den Eindruck, manche hofften, wir hätten weder Zeit noch Kapazität und Energie, selbstständig zu recherchieren und Dinge zu hinterfragen. Falsch gedacht.

Wir recherchierten. Wir hinterfragten. Wir schrieben kritische Kommentare. Waren alle Maßnahmen verhältnismäßig? Welche Fehler waren begangen worden? Sind alle Maßnahmen mit dem Rechtsstaat vereinbar? Unsere Leserinnen und Leser dankten uns die Hartnäckigkeit. Wir hatten noch nie so viele Zugriffe auf unserer Website, noch nie so viele Kommentare, Diskussionen und Fragen in unseren Foren – und noch nie so viele Zeitungsabonnenten. Die Kolleginnen und Kollegen in Konkurrenzmedien erlebten dies ähnlich.

Die Politik reagierte auf ihre ganz spezielle Weise. Als es nach dem Wegbrechen des Anzeigen-Marktes darum ging, auch die Medienunternehmen Österreichs mit Wirtschaftshilfen zu unterstützen, kam dies zum überwiegenden Teil den Boulevardmedien zugute. Die Unterstützung für Qualitätsmedien fiel vergleichsweise gering aus, reine Onlinemedien bekamen gar nichts.

Freilich, es wurde nachgebessert, die ärgsten Scharten zum Teil ausgewetzt – dennoch: Das Gefühl, hier verteilten die Regierenden nach Gutdünken, bleibt bestehen.

Und hier sind wir bei einer weiteren Wahrheit über dieses so bemerkenswerte Jahr 2020. Es ist nämlich ein sehr schlechtes Jahr für Medien. Der Markt in Österreich war schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie dysfunktional – und das liegt nicht nur an seiner Kleinheit. Große Teile der Erlösmodelle im Anzeigenbereich brachen plötzlich stark ein. Die Abhängigkeit aller Medien von Zuwendungen der öffentlichen Hand war noch nie so groß.

Für die Demokratie ist es gefährlich, wenn die vierte Kraft, die sie stützen sollte, selbst gestützt werden muss. Ich möchte die Gelegenheit heute nützen, um an Sie und alle, die Verantwortung tragen (und sie auch wahrnehmen), zu appellieren. Lassen Sie uns aus der Krise eine Chance machen – eine Chance, unabhängigen, kritischen Journalismus tatsächlich als demokratiepolitisch wichtige Aufgabe zu sehen. Journalistinnen und Journalisten sind Schlüsselkräfte in einer Demokratie, sie leisten einen wichtigen Beitrag, damit mündige Bürger sich so objektiv wie möglich informieren können  –  das muss uns allen etwas wert sein. Ja, wir müssen unsere Verantwortung in einer immer komplizierter werdenden Welt wahrnehmen. Wir müssen recherchieren und checken, re-checken, double-checken. Wir müssen hinterfragen und immer immer dranbleiben. Das nennt man Qualitätsjournalismus. Wir müssen aber auch ökonomisch in der Lage sein, all das zu tun. Das wird immer schwieriger.

Insofern ist 2020 auch kein gutes Jahr für Redaktionen.

Redaktionen kommen unter Druck, sie gelten vielfach als reiner Kostenfaktor. Manche verstehen nicht, dass Qualität Zeit und Personal braucht. Das Thema im Journalismus ist längst nicht mehr Print oder Online – oder gar Print gegen Online und umgekehrt. Es geht darum, dass qualitativ hochwertiger Journalismus überlebt. Es geht darum, auch in normalen Zeiten die digital natives zu erreichen.

Um das zu gewährleisten, müssen Redaktionen, muss redaktionelle Tätigkeit unterstützt werden. Es braucht eine ordentliche Presseförderung – und ein Transparenzgesetz über die Verteilung von Inseraten, das diesen Namen verdient. Es ist die Aufgabe des Nationalrats als höchster Instanz der Demokratie, darüber zu wachen, dass ihre vierte Kraft, der unabhängige Journalismus, erhalten bleibt. Das ist die einzige Chance. Die Verteilung von finanziellen Wohltaten nach Gutsherrenart (auf Steuerzahlerkosten) wird den unabhängigen, qualitätsvollen Journalismus nicht retten. Ganz im Gegenteil.

Mir ist auch deshalb so wichtig, das heute hier zu sagen – und hoffentlich einen Denkanstoß zu liefern, weil ich möchte, dass meine Kinder auch in zwanzig Jahren noch kritische, unabhängige Medien vorfinden, über die sie sich informieren können – in normalen Zeiten, und noch viel wichtiger, in außergewöhnlich herausfordernden Zeiten.

Und ich möchte, dass junge Menschen, die wir heute zu Journalistinnen und Journalisten ausbilden, oder die gerade dabei sind, in diesen Beruf einzusteigen, nicht den Mut und ihre Ideale verlieren. Dass sie nicht aufgeben, weil es so schwierig ist, Fuß zu fassen, sich zu etablieren – und den eigenen Ansprüchen zu genügen. Ich möchte ihnen allen sagen, dass ich meinen Entschluss, Journalistin zu werden, nie bereut habe. Es ist der spannendste, beste, herausforderndste und großartigste Beruf, den ich mir vorstellen kann – und ich wünsche Euch von Herzen, dass er das für Euch auch ist.

Schließlich danke ich der Jury – oder eigentlich den beiden Jurys, dass sie heuer zwei Frauen, zwei Journalistinnen, die renommiertesten Auszeichnungen unserer Branche, den Kurt-Vorhofer-Preis und den Robert-Hochner-Preis verliehen haben. Es ist mir eine große Freude, gemeinsam mit Ulla Kramar-Schmid ausgezeichnet zu werden. Und es ist eine feministische Genugtuung für mich. Denn, auch das sei gesagt: Obwohl mittlerweile viele Frauen im Journalismus tätig sind – in den Chefetagen sind sie noch immer in der Minderheit. Ihr Verdienst ist geringer als jener der Männer – und sie bekommen deutlich weniger Preise und Auszeichnungen. Daher nochmals: Danke, ich freue mich sehr!"