Überschätzen wir die Corona-Gefahr? Mit dieser Frage setzten sich am Sonntagabend zeitgleich zwei Diskussionsrunden des österreichischen Fernsehens auseinander: In der öffentlich-rechtlichen Welt von „Im Zentrum“ nahmen Gesundheitsminister Rudolf Anschober, SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Daniela Schmid  (Sprecherin der Corona-Kommission), Philosophin Lisz Hirn und der Medizinhistoriker Harald Salfellner am Corona-Gespräch teil. In der neuen Diskussionsrunde von ServusTV, „Corona Quartett“ genannt, nahmen zeitgleich der von Corona-Verweigerern gefeierte Infektionsepidemiologe Sucharit Bhakdi, die ehemalige Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky, der als Corona-Kritiker bekannte Finanzwissenschaftler Stefan Homburg und Stefan Thalhammer, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten teil.

Nach dem Besuch Bhakdis in „Talk Spezial" mit Servus-Chef Ferdinand Wegscheider, ist der Salzburger Sender offenbar auf den Geschmack gekommen, in der Corona-Berichterstattung ein deutliches Gegengewicht zum öffentlich-rechtlichen ORF zu bilden. In einer Situation, in der die Fronten in der Corona-Frage zusehends verhärten, musste sich ServusTV nach der „Talk Spezial“-Ausgabe vorwerfen lassen, Corona-Verharmlosern die Bühne zu bieten. Wer sich das auch für „Corona Quartett“ erhoffte, wurde diesbezüglich bestätigt und enttäuscht zugleich: Einerseits geriet das unmoderierte Format ausgewogener als zu erwarten. Andererseits liegt es an der Grundstrukture des Formats, nicht auf Aufklärung ausgelegt zu sein: Weil eine Moderation fehlt gewinnt am Ende, wer knackiger formuliert oder wer lauter ist. Am Ende stehen Behauptungen. Zuschauer, die schon vorher verunsichert waren, dürften in dieser Sendung wenig Orientierung gefunden haben.

"Ich bin ein Laie"

Saßen im „Corona Quartett“ die Diskutanten an einem Tisch, als gäbe es kein Corona, ließ man die Teilnehmer von „Im Zentrum“ im großen Halbkreis mit gebührendem Abstand diskutieren. Während auf ServusTV die Abwesenheit einer Moderation die längste Zeit wenig auffiel - Andrea Kdolsky übernahm diese Aufgabe halbherzig - legte Claudia Reiterer ihre Rolle offensiv aus: Die Unterbrechung als legitimes Mittel, ein Gespräch zu moderieren, setzte Reiterer an diesem Sonntagabend oft, mancher möchte meinen, gewohnheitsmäßig ein. „Wenn sie mich ausreden lassen, dann könnte ich das erklären. Das wäre ganz angenehm“, sagte Gesundheitsminister Anschober. Reiterer müht sich die Oberhand zu gewinnen: „Ich bin ein Laie.“ Sie spricht vom „Abschieben von Verantwortung auf die Länder“, Anschober von „Zuständigkeiten“. Reiterers Frage, warum gerade in Tschechien die Zahlen aktuell stark steigen, beantwortete der Medizinhistoriker Salfellner kurz und knapp: „Ich denke, das ist nicht sehr wesentlich zu erfahren. Praktisch jedes Land kommt irgendwann ins Vergnügen, hohe Zahlen zu haben.“ Testen solle kein Dogma werden, stattdessen müsse man sich fragen, was man erreichen wolle: Impfung oder Herdenimmunität? Die derzeitige Strategie der Regierung könne er nicht mehr verstehen, erklärte Salfellner. Statt Anschober auf diese Kritik antworten zu lassen, wurde dieser von Reiterer gefragt: „Ist die Ampel tot?“ Der Minister negierte und war wenig später irritiert: „Wenn sie mich ausreden lassen, dann könnte ich das erklären.“ Reiterer: „Da geben sie mir hoffentlich recht, die Kapazitäten funktionieren nicht.“ Anschober: „Doch die Kapazitäten sind da.“

Schnelltests bringen Entlastung

Während Reiterer offensichtlich bemüht war, der Diskussion ihren eigenen Rhythmus vorzugeben, hatten die Diskutanten interessante, konstruktive Beiträge. Intensiv besprochen wurde die Frage der Verantwortung: Anschober sah Probleme hinsichtlich der Personalausstattung in einigen Bundesländern, sowohl beim Kontaktpersonenmanagement also auch beim Testen. Als positives Beispiel verwies der Minister auf Vorarlberg, wo das Testergebnis durchschnittlich nach 20 Stunden bereit läge. SPÖ-Parteichefin Pamela Rendi-Wagner forderte, die Bundesregierung solle bei einer Expertengruppe eine neue „Schnelltest-Strategie in Auftrag geben. Es gelte, beim Testprozedere Technologien zu nutzen, die zeit- und personalsparend seien. Antigen-Schnelltests hätten mittlerweile eine 90-prozentige Sicherheit, so die SPÖ-Chefin. Hätte die rote Stadtregierung nicht schon früher reagieren müssen, fragte Reiterer. „Ich habe ja fast gerechnet mit dieser Frage“, schien sich Rendi-Wagner über die Frage zu freuen, verwies auf die Verantwortung der Bundesregierung und verwies auf die Bundesregierung: Man solle damit aufhören, die Schuld einzelnen Bundesländern zuzuschieben, denn Krisenmanagement könne nur funktionieren, wenn einer die zentrale Verantwortung übernehme.

Auch Daniela Schmid, Sprecherin der Corona-Kommission, sah in den Schnelltests den Schlüssel: Es gehe darum die „Transmissionsketten zu unterbrechen“. Philosophin Lisz Hirn ortete eine enorme allgemeine Unsicherheit und kritisierte, dass eine Strategie fehle, wie wir jetzt gut mit dem Virus leben können. Es reiche nicht, auf die Zukunft zu hoffen und nur zu überleben.

Quotenübersicht

Aus Quotensicht hatte das Fernduell von „Im Zentrum“ und „Corona Quartett“ zwei Sieger auf völlig unterschiedlichen Niveaus: Das ORF-Format kam im Schnitt auf 589.000 Zuschauer (Marktanteil 28 Prozent), das „Corona Quartett“ auf 86.000 Zuschauer bei 3,6 Prozent Marktanteil.